Sind Amyloid-Ablagerungen im Gehirn tatsächlich ursächlich für Alzheimer & Co.?

Im Zuge der neuen Medikamenten-Entwicklungen Lecanemab und Donanemab, die trotz bisher nur klinisch-statistisch attestiertem möglichem Nutzen bei früher Alzheimer-Demenz samt teils massivsten Nebenwirkungen von einigen Wissenschaftler:innen als „Meilenstein in der Alzheimer-Behandlung“ bezeichnet werden, ist die Welt der Forschung in verschiedene Lager gespalten.

Während manche Forschende von einem Durchbruch sprechen, sehen andere Wissenschaftler:innen die Ist-Situation deutlich kritischer und mahnen vor allzu weit gefasster Euphorie.

Ist das Protein Amyloid tatsächlich der Übeltäter bzw. ist es dies ganz allein?

Denn neben der sogenannten „Amyloid-Hypothese“, die seit mehr als 20 Jahren die postulierten Ursachen der Entstehung von Alzheimer anführt, gibt es noch reichlich blinde Flecken – und bislang wenig beachtete mögliche Verursacher von Alzheimer und Demenz erregen jetzt vermehrt Aufmerksamkeit.

Denn beim Amyloid sind noch viele Fragen offen. Dies liegt beispielsweise daran, dass Amyloid-Protein-Fragmente, also Eiweißverklumpungen, die sich zwischen den Gehirnzellen anreichern und dort zu Bündeln verkleben, erstaunlicherweise auch in gesunden Gehirnen vorkommen – ohne dass die Menschen notwendigerweise je an Alzheimer erkranken. Darüber hinaus weiß man bis heute nicht, welche Funktionen das Protein Amyloid grundsätzlich überhaupt hat.

Zudem: Zahlreiche Antikörper wie etwa Solanezumab und Bapineuzumab, die in den vergangenen Jahrzehnten erforscht wurden, hatten nicht überzeugend gewirkt und Post-Mortem-Studien, also Gehirnuntersuchungen an verstorbenen Patient:innen zeigten, dass trotz Entfernung der Amyloid-Plaques durch Anti-Körper bei vielen Patient:innen die schwere Demenz dennoch zu Lebzeiten weiter fortgeschritten war.

Forschende hinterfragen die Hypothese kritisch und bringen weitere mögliche Ursachen ins Spiel.

Ein Team von Prof. Kasper P. Kropp an der Technischen Universität Dänemark hat sich mit den neuesten Medikamenten zur Behandlung von Alzheimer beschäftigt. In ihrer Arbeit sagen sie, dass die Alzheimer-Forschung oft davon ausgeht, dass die Krankheit durch eine Art „Überlastung“ des Gehirns mit einem bestimmten Protein namens Beta-Amyloid verursacht wird.

Aber diese Theorie hat Kritik auf sich gezogen, weil viele Medikamente, die dieses Protein entfernen, bei der Krankheit nicht wirklich zu helfen scheinen. Lecanemab, ein neues Medikament, ist ein Beispiel dafür.

Die Forschenden sind skeptisch, ob diese Medikamente überhaupt wirksam sind, da es keinen klaren Zusammenhang zwischen einer bestimmten Menge an Beta-Amyloid im Gehirn und den geistigen Fähigkeiten einer Person gibt. Darüber hinaus weisen sie darauf hin, dass genetische Faktoren und Lebensstilrisiken wie Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck und Depression lange Zeit nicht genügend Beachtung gefunden haben.

Lecanemab und Donanemab: Nur möglicher Teil eines Therapiekonzeptes und zudem sehr teuer.

Es gibt also durchaus Zweifel, ob die neuen Alzheimer-Medikamente Lecanemab und Donanemab wirklich einen Durchbruch bringen können, besonders nachdem andere ähnliche Medikamente nicht erfolgreich waren. Prof. Kepp findet, dass es nicht hilfreich ist, sich nur auf Medikamente zu konzentrieren, die das Protein Beta-Amyloid behandeln. Die neuesten Medikamente dieser Art, Donanemab und Lecanemab, haben zwar eine gewisse Wirkung gezeigt, aber es gibt immer noch viele Unsicherheiten und sie haben teils frappante Nebenwirkungen. Zudem sind sie sehr teuer. Er und seine Kolleg:innen glauben, dass sie Teil eines breiteren Behandlungsplans sein könnten, nicht jedoch das so sehnlich erwartete Einzelmedikament.

Für die Alzheimer-Forschung und -Behandlung ist es weiterhin wichtig, die Krankheit früh zu diagnostizieren und die Ursachen zu erforschen. Hierbei spielt die Vorbeugung und die Entwicklung verschiedener Medikamentenansätze eine wichtige Rolle. Diese könnten zum Beispiel das Proteinstoffwechsel, das Tau-Protein und andere krankheitsrelevante Pfade im Gehirn betreffen.

Die Forschenden warnen deshalb davor, zu hohe Erwartungen in Medikamente zu setzen, die auf Beta-Amyloid abzielen, um Alzheimer zu behandeln bzw. gar zu heilen. Obwohl dieses Protein ein Teil der Krankheit sein könnte, könnte es bei der Behandlung nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Welche Rolle spielen virale und bakterielle Infektionen – bei Multiple Sklerose wurde dies schon nachgewiesen

Doch auch Infektionen, Gefäßerkrankungen und Stoffwechselstörungen könnten mögliche Gründe für die Entstehung von Alzheimer und Demenz-Erkrankungen sein, die weiter untersucht werden müssen. Die Theorie, dass Viren oder Bakterien Alzheimer verursachen könnten, wurde seit den 1980er Jahren immer wieder diskutiert. Obwohl sie früher nicht ernst genommen wurde, gewinnt sie inzwischen an Glaubwürdigkeit.

Zum Beispiel hat eine große Studie in den USA gezeigt, dass das weit verbreitete Epstein-Barr-Virus sehr wahrscheinlich die Hauptursache für Multiple Sklerose ist (Alzheimer Deutschland hat darüber berichtet: https://www.alzheimer-deutschland.de/aktuelles/beitraege/hauptursache-fuer-multiple-sklerose-gefunden ). Andere Studien haben gezeigt, dass Menschen mit Herpes-Infektionen ein höheres Risiko für Alzheimer haben (siehe hierzu auch: https://www.alzheimer-deutschland.de/aktuelles/beitraege/viren-als-ausloeser-fuer-alzheimer ).

Ein Neurologe vom Columbia University Medical Center, Davangere Devanand, erwähnte eine Studie aus Taiwan aus dem Jahr 2018. Diese zeigte, dass die Behandlung von Herpes-Patienten mit einem Standard-Antivirus-Medikament das Risiko für Demenz um das Neunfache reduzieren konnte.

In einer neueren Studie fanden Forschende der Stanford University unter der Leitung von Dr. Pascal Geldsetzer heraus, dass eine Impfung gegen das Herpes-Zoster-Virus möglicherweise vor Demenz schützen könnte. Sie nutzten die Tatsache, dass in Wales die Berechtigung für diese Impfung an ein bestimmtes Geburtsdatum gebunden ist. Sie fanden heraus, dass die Impfung das Risiko einer Demenzdiagnose über einen Zeitraum von sieben Jahren um 3,5 Prozentpunkte senken konnte. Dies könnte fast 20 Prozent weniger Demenzerkrankungen bedeuten, wobei der Effekt bei Frauen größer als bei Männern war. Die Studie zeigte auch, dass die Impfung keinen Einfluss auf andere häufige Krankheiten oder Todesursachen hatte. Dies könnte laut Forscher Dr. Pascal Geldsetzer typische Verzerrungen in solchen Studien vermeiden.

Alzheimer ist vermutlich viel komplexer als vermutet

Die enttäuschenden Ergebnisse rund um die Beta-Amyloid-Theorie und das wachsende Interesse an der Rolle von Virusinfektionen bei der Entstehung von Demenz sind also bedeutende Entwicklungen in der Alzheimer-Forschung. Sie zeigen erneut, dass Alzheimer komplexer ist, als nur durch Beta-Amyloid erklärt werden kann.

Dr. Geldsetzer und sein Team fordern weitere Untersuchungen, speziell randomisierte Studien, um den Einfluss von Herpes-Zoster-Impfungen auf die Entstehung von Demenz zu ermitteln und den besten Zeitpunkt für ihre Anwendung zu identifizieren. Prof. Kepp aus Dänemark weist ebenfalls darauf hin, dass man sich nicht nur auf Beta-Amyloid konzentrieren sollte. Er betont, dass diese Theorie zwar für die Forschung und Entwicklung von Modellen wichtig war, sie aber nur wenig Einfluss auf die Patient:innen hat, besonders angesichts der Komplexität der Krankheit.

Quellen:

https://academic.oup.com/brain/advance-article-abstract/doi/10.1093/brain/awad159/7162122

https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2023.05.23.23290253v1