Transkranielle Pulsstimulation seit einem Jahr im Klinikum Wahrendorff
Prof. Dr. med. Marc Ziegenbein über den Einsatz der TPS bei Demenz-Erkrankungen
Prof. Dr. med. Marc Ziegenbein ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist ärztlicher Direktor und Chefarzt des Klinikum Wahrendorff, Europas größte psychiatrische Klinik in privater Trägerschaft mit 345 Krankenhausbetten und rund 350 teilstationären Plätzen.
Im Heimbereich finden über 1.000 Bewohner Versorgung und sind in mehr als 60 Gebäuden ist das Klinikum über zahlreiche Orte wie Köthenwald und Sehnde bis hin nach Hannover sowie Celle verteilt. Ob Männer-Tagesklinik, seelische Gesundheit im Alter oder Traumabehandlung – das Angebot der Einrichtungen ist umfassend: „Wir behandeln hier das gesamte Spektrum psychiatrischer Erkrankungen“, sagt Prof. Marc Ziegenbein, und meint damit auch die Transkranielle Pulsstimulation (TPS), die man in Wahrendorff unter seiner Leitung nunmehr seit über einem Jahr einsetzt. Wir baten Prof. Ziegenbein daher, uns über den Einsatz der TPS und seine Erfahrungen zu berichten.
Alzheimer Deutschland (AD): Herr Professor Ziegenbein, Sie sind Psychiater, ärztlicher Direktor und Chefarzt des Klinikums Wahrendorff, einem dem führenden psychiatrischen Häuser Europas. Wie kamen Sie zur Transkraniellen Pulsstimulation und weshalb entschieden Sie sich für diese Therapie, die ja in Ihrer eigenen Kollegenschaft doch noch recht unbekannt ist?
Prof. Marc Ziegenbein (M.Z.): Das hängt sicher mit unserer speziellen Klinikphilosophie zusammen: Wir sind als Institution immer damit beschäftigt, genau zu beobachten, was es Neues in Forschung und Wissenschaft im Bereich der Psychiatrie und Psychotherapie gibt und wollen für unsere Patienten immer am Puls der Zeit sein. Wir sind bekannt dafür, dass wir hier sehr innovativ sind und zögern nicht lange, wenn es um neue Behandlungsmöglichkeiten und Chancen für die Patienten geht. Als wir von den ersten Studien zur TPS erfuhren, haben wir uns intensiv mit dem Thema Stoßwellen bei neurodegenerativen Erkrankungen auseinandergesetzt.
Dabei haben wir uns mit der Bildung eines Urteils natürlich nicht leicht gemacht! Wir haben die TPS mit den derzeitigen Standardverfahren verglichen, dabei die aktuellen Theorien und klinischen Studien zur Entstehung von Alzheimer-Demenz zugrunde gelegt und intern zunächst ausführlich bewertet. Diese Bewertung fiel dann so gut aus, dass wir gesagt haben, ein Verfahren mit großem Potential, wir würden gerne praktische Erfahrungen sammeln. Neben einem möglichen therapeutischen Nutzen war uns vor allem auch die Sicherheit für die Patient:innen wichtig, die ebenfalls unserer Prüfung standgehalten hat.
AD: Sie setzen die TPS nun seit ungefähr einem Jahr in Ihrer Klinik ein. Wie viele Demenz-Betroffene haben Sie bisher behandelt?
M.Z.: Bis dato haben wir ca. 35 Patient:innen mit der sechsteiligen Initialserie und in der Folge mit Auffrischungseinheiten behandelt. Dabei handelt es sich um eine heterogene Gruppe von etwa gleich viel Frauen wie Männern. Unsere Patient:innen sind allesamt Alzheimer-Demenz-Patient:innen, aber meist sind es natürlich genaugenommen Mischformen der Demenz. Denn die Alzheimer-Demenz ist selten eine singuläre Krankheit, sondern häufig ist beispielsweise auch eine vaskuläre Demenz oder eine andere Demenz-Form dabei; die Überlappungs-Quote liegt hier bei ca. 80%.
AD: Und wie ist Ihr erstes Urteil nach einem Jahr zur TPS bisher?
M.Z.: Zunächst ist hervorzuheben, dass wir bei diesen Patient:innen, die wir bisher dokumentiert haben jedenfalls zunächst ein Voranschreiten der Erkrankung gestoppt werden konnte. Dies ist schon bemerkenswert, denn allein die Krankheit aufhalten zu können, ist bereits ein großer Effekt, den man nicht unterschätzen sollte. Denn es ist ja so: Alle Medikamente, die es bisher gibt, können ja maximal dazu beitragen, dass der Krankheitsverlauf verzögert wird, aber sie können ihn nicht aufhalten. Hier punktet die TPS deshalb ganz klar vorne. Darüber hinaus stellen wir aber auch gute Resultate fest, die durch die TPS außerdem hervorgerufen werden können: Die Menschen finden regelrecht wieder mehr zu sich selbst zurück, sie sind aktiver, fröhlicher, offener nach der Therapie. Manche Angehörigen berichten uns „Ich finde den Menschen wieder, den ich früher gekannt habe“. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, denn viele Patienten ziehen sich ja zurück und verändern sich hin zu einer regelrecht fremden Person. Generell wird der Alltag für diese Menschen leichter, sie bringen sich wieder mehr in das Leben ein. Das ist auch für die Angehörigen sehr erleichternd.
AD: Das freut uns, zu hören. Wie überprüfen Sie den Therapieverlauf?
M.Z.: Wir dokumentieren alle Fälle von Anfang an und nutzen dabei verschiedene psychiatrische – und neurologische Testparameter und Scalen, die in unserem Fachgebiet wissenschaftlich anerkannt sind. All dies wird mit der Zeit in eine eigene Langzeit-Beobachtungsstudie in unserem Haus einfließen.
AD: Derzeit laufen zur TPS große placebo-kontrollierte Studien zu Alzheimer-Demenz und Parkinson, die noch in diesem Jahr abgeschlossen und veröffentlicht werden. Darüber hinaus forscht man an weiteren Einsatzmöglichkeiten der TPS. Welche Chancen sehen Sie, die TPS auch anderweitig künftig einzusetzen?
M.Z.: Als Psychiater sehe ich natürlich die potenziellen Möglichkeiten bei Depressionen. Die Wissenschaft geht ja derzeit davon aus, dass für Depressionen die Gehirn-Areale Mandelkern (Amygdala) und Hippocampus zuständig sind, die tief im Inneren des Gehirns sitzen. Dies sind jene Bereiche, die man derzeit nur mit der TPS erreichen kann. Anders ist das bei der rTMS (Anmerkung d. Red.: repetetive transkranielle Magnetsimulation), die nur oberflächlich in das Gehirn eindringen und nicht effektiv in diese Segmente gelangen kann. Natürlich ist es für die Anwendung bei Depressionen, die nicht an eine Demenz-Erkrankung gekoppelt sind, noch etwas zu früh. Hier müssen zunächst weitere klinische Studien gemacht werden. Aber ich kann mir vom Prinzip her gut vorstellen, dass die TPS auch hier mittelfristig eine sehr gute Behandlungsoption darstellen könnte.
AD: Welche Möglichkeiten sehen Sie, die TPS bei Demenz-Erkrankungen noch besser oder effektiver einzusetzen?
M.Z.: Wir diskutieren in unserer Klinik derzeit, ob die TPS nicht schon früher bei beginnender Demenz bzw. auch dann schon eingesetzt werden könnte, wenn die Betroffenen und ihr Umfeld gerade erst bemerken, dass etwas nicht stimmt, also bevor eine Demenz-Erkrankung sichtbar ausbricht. Denn unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass man mit der TPS nicht nur bereits deutlich beeinträchtigte Patienten behandeln kann, sondern gerade für solche Patient:innen, die erst am Beginn einer dementiellen Erkrankung stehen.
AD: Sie sind also ein absoluter Befürworter der TPS. Was können Sie und Ihr Haus tun, damit diese ja doch noch recht junge Therapie neben den Studien durch eine bessere Datenlage evaluiert und gestützt werden kann?
M.Z.: Ich sehe große Möglichkeiten für die TPS, wenn die derzeit laufenden klinischen Studien weiterhin bestätigen, was bisher erforscht wurde. Außerdem wollen wir in einem internationalen Austausch mit anderen Psychiater:innen und auch Neurolog:innen zu arbeiten beginnen, um die verschiedenen, heute angebotenen Therapiemöglichkeiten abzugleichen und unsere Erfahrungs-Daten mit der TPS in einem gemeinsamen Pool zu dokumentieren und auszuwerten. Das ist übrigens kein Ausschlußkriterium für andere medizinische Fachbereiche, aber eben nur in der Psychiatrie und in der Neurologie können wir bestimmte Diskussionen und Vergleiche auf tiefgehender fachlicher Ebene führen. Bestimmte Diagnose- und Messverfahren finden außerhalb unseres Fachgebietes nur sehr selten Anwendung, somit gilt es die Expertise der Psychiater und Neurologen zu nutzen, um den Pool valider Daten stetig zu vergrößern.
AD: Ganz konkret zum Klinikum Wahrendorff: Was erwartet TPS-Patient:innen in Ihrer Klinik und was sind die Voraussetzungen dafür, dass man bei Ihnen behandelt werden kann?
M.Z.: Zunächst können alle Angehörigen und Betroffenen wegen einer Demenz-Erkrankung bei uns unverbindlich anfragen. Im persönlichen Gespräch, anhand der jeweiligen Vorbefunde und unseren eigenen Tests eruieren wir dann, ob die TPS im Individual-Fall sinnvoll ist. Ganz wichtig ist aber noch ein anderer Aspekt: Wir sind Psychiater:innen, wir sind Ärzte für die Seele. Jeder Patient verdient eine ganzheitliche Betrachtung. Wir nehmen uns Zeit für die Patient:innen, für die Sorgen und Nöte der Angehörigen, wir betrachten das Thema Demenz nicht nur von der organischen Seite her. Deshalb behandeln wir auch lieber weniger Patient:innen, damit wir für jene, die bei uns sind, vollkommen da sein können. Mit einer halben Stunde Therapie-Routine ist es bei uns nicht getan. Auch das wirkt sich ganz sicher positiv auf den Therapieverlauf aus.
AD: Was sagen Sie über die Transkranielle Pulsstimulation, wenn Sie sie in einem Satz zusammenfassen sollen?
M.Z.: Ich halte die TPS jedenfalls für ein durchaus bedeutendes Verfahren mit großem Potential für die Zukunft.
AD: Professor Ziegenbein, wir danken für dieses Gespräch.
Über Prof. Dr. med. Marc Ziegenbein
Prof. Dr. med. Marc Ziegenbein ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und ärztlicher Direktor und Chefarzt des Klinikums Wahrendorff. Er erhielt seine Ausbildung am Max-Planck-Institut für Psychiatrie und Psychotherapie sowie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er ist Autor und Mitautor von mehr als 70 internationalen wissenschaftlichen Artikeln. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Psychopharmakologie, Versorgungsforschung und Depression. Prof. Ziegenbein ist Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Fachgesellschaften wie z. B. der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN), der Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie e.V. (AGNP) sowie Mitglied zahlreicher Gremien wie z.B. dem Landesfachbeirat für Psychiatrie, Härtefallkommission des Landes Niedersachsen. Zudem ist er Vorsitzender des Psychiatrieausschuss des Landes Niedersachsen.
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