Der Experte für Regenerationsmedizin über Möglichkeiten und Grenzen der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS)

Prof. Dr. med. Musa CitakProf. Dr. med. Musa Citak ist Mediziner und ordentlicher Professor an der Medizinischen Hochschule in Hannover. Durch zahlreiche Forschungstätigkeiten in Europa und den USA stellt Prof. Citak seit vielen Jahren die Regenerationsmedizin in allen Bereichen der Medizin in den Fokus seiner ärztlichen Tätigkeit und ist einer der führenden Stoßwellen-Experten Deutschlands.Aufgrund dieser Spezialisierung gehörte er zu den ersten Ärzten, die die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) sowohl praktisch als auch wissenschaftlich in Deutschland anwenden. Mit mittlerweile vier TPS-Schwerpunkt-Praxen in Hamburg, Berlin, Bochum und München (weitere Informationen direkt bei Prof. Citak auf www.tps-therapie.de) agiert Prof. Citak federführend mit der TPS und kann mittlerweile auf ein breites Spektrum entsprechender Daten und Erfahrungen zurückgreifen. Unter seiner Ägide werden derzeit zwei Doktor-Arbeiten zur Transkraniellen Pulsstimulation (TPS) geschrieben und multizentrische Beobachtungsstudien durchgeführt. Wir baten Prof. Citak daher zum Gespräch.

Alzheimer Deutschland (AD): Herr Prof. Citak, Sie arbeiten nun seit einem Jahr mit der Transkraniellen Pulsstimulation, also der TPS. Wie sind Sie auf die TPS gestoßen, die ja – wenn wir es in den Zeitintervallen in der Medizin betrachten – noch sehr jung ist?
Prof. Citak: Ich beschäftige mich seit zehn Jahren mit der regenerativen Medizin. In meiner Hamburger Praxis führen wir ausschließlich diese beiden Therapien durch. In der regenerativen Medizin stellt die fokussierte Stoßwellentherapie momentan eine der am besten untersuchten Therapien überhaupt dar. Da wir eines der größten Zentren für Stoßwellentherapie in Deutschland sind, wurde uns die TPS als eine der ersten Praxen überhaupt vorgestellt. Dies kam mir zu diesem Zeitpunkt sehr gelegen, da eine Familienangehörige gerade die Diagnose Alzheimer-Demenz erhalten hatte. Ich habe dann gesagt, ‘bringt mir das Gerät so schnell wie möglich! Wenn es nur 2 % so gut hilft wie bei den anderen Indikationen, die ich mit der Stoßwelle behandele, bin ich schon sehr zufrieden‘. Als ich das Gerät bestellt habe, hätte ich niemals gedacht, dass wir auch noch andere Menschen außer meine Angehörige behandeln werden würden und dass wir diese anvisierten 2% bei weitem übersteigen würden.
AD: Sie arbeiten seit vielen Jahren mit Stoßwellen. Oft herrscht in der Bevölkerung Unwissen und Unsicherheit – was sind Stoßwellen überhaupt?
Prof. Citak: Eine Stoßwelle entsteht, wenn ein Körper sich schneller als der Schall bewegt. Wenn ein Flugzeug durch die Schallmauer fliegt, erzeugt sie eine Stoßwelle, genauso wie ein Blitzschlag eine Stoßwelle erzeugt, die wir dann als Donner hören.  Eine Stoßwelle ist eine akustisch hörbare Welle, deshalb nennen wir sie auch Schallwelle. Die Stoßwelle überträgt Energie im Bereich vom Infraschall bis hin zum Ultraschallbereich, ohne biologisches Gewebe zu zerstören. Wenn man Stoßwellen mit sehr niedriger Energie generiert – und das tun wir bei der Transkraniellen Pulsstimulation – kommt es zur sogenannten Mechanotransduktion, also zur Umwandlung dieser physikalischen Signale in intrazelluläre molekulare Prozesse. Vereinfacht kann man sagen, dass die speziellen TPS-Stoßwellen einen mechanischen Reiz auslösen und dies dann zu einer biologischen Antwort des Organismus führt, die Regenerationsmechanismen einleitet.
AD: Nun sind die Stoßwellen also im Bereich Alzheimer-Demenz und anderen neurophysiologischen Erkrankungen angekommen, bald übrigens auch in der Kardiologie, wie man aus Fachkreisen hört. Was unterscheidet diese Stoßwellen bei der TPS von den anderen Stoßwellen?
Prof. Citak: Da liegen Sie etwas falsch, Stoßwellen werden schon seit 1999 in der Kardiologie verwendet. Es gibt jedoch noch kaum Zentren für kardiologische Stoßwellen, die mit gezielter Fokussierung auf ischämische Bereiche des Herzmuskels einwirken. Dabei werden Durchblutung und Stoffwechsel durch Neubildung von kapillaren Blutgefäßen wirklich signifikant und dauerhaft gesteigert. Eine großartige Therapiemethode! Aber ich glaube das Problem ist in der Kardiologie, dass in diesem Bereich viele Erkrankungen meist zu spät erkannt werden, nämlich dann, wenn es schon zu spät ist und nur noch ein Stent Abhilfe schaffen kann. Im Bereich der neurologischen Indikationen gibt es so eine effektive Intervention wie mit einem Stent am Herzen leider nicht. Hier gibt es keinen „Plan B“. Deswegen ist die TPS-Therapie so interessant bei den neurologischen Erkrankungen. Die TPS-Therapie ist letztlich die fokussierte Stoßwellentherapie, die wir bereits aus der Orthopädie, der Kardiologie und der Urologie kennen. Es gibt nur zwei Unterschiede: Bei der TPS sind die Stoßwellen sehr niederfrequent und ultrakurz angelegt, so dass sie das Gewebe im Körper, hier also im Gehirn, nicht erwärmen können. Man kann also nicht viel falsch machen bei dieser Behandlung.
AD: Mit der TPS können wir über die Schädeldecke hindurch ca. 8 cm tief in das Gehirn eindringen. Vereinfacht gesagt, können wir so in der ungefähr halbstündigen Behandlung das gesamte Hirnareal eines Menschen erreichen.  Was geschieht nun da im Gehirn der Patienten?
Prof. Citak: Wie ich vorhin schon sagte: Die Stoßwelle stellt einen mechanischen Reiz für die Zelle dar und diese reagiert wiederum mit einer biologischen Antwort. Es kommt zur Erhöhung der Permeabilität, also der Durchlässigkeit der Zellwände und es werden Ionenkanäle stimuliert, die mechanosensitiv sind. Diese Ionenkanäle bilden übrigens unter anderem die Grundlage für Empfindungen wie Berührungen und sind für das Gleichgewicht verantwortlich. Weiterhin wird Stickoxid freigesetzt, was zu einer erhöhten Blutgefäßerweiterung und damit Zunahme der Durchblutung führt. Der Stoffwechsel in der Zelle wird angekurbelt. Diese Effekte spüren viele Patienten übrigens oft ab der fünften Behandlung. Das Ziel der TPS-Therapie ist die adulte Neurogenese, welche ebenfalls durch die Aktivierung von mehreren Wachstumsfaktoren wie zum Beispiel den Gefäßwachstumsfaktoren ausgelöst wird. Die adulte Neurogenese bezeichnet die Neubildung von Nervenzellen. Diese findet vor allem im Hippocampus statt, einem Bereich des Gehirns, der für die Lern- und Gedächtnisvorgänge wichtig ist. Dies erreichen wir mit den Stoßwellen der TPS.
AD: Herr Professor, wir wollen an dieser Stelle einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass die TPS das Gehirn stimuliert, Nervenzellen aber ihre Zeit brauchen, um sich zu regenerieren. Viele Leute erwarten dann sofortige Wunder, das heißt, mein Mann, meine Frau, meine Mutter, mein Vater und so weiter wird ein paar Mal mit der TPS behandelt und dann will ich bitte schön sofort Ergebnisse sehen. Wir wissen, dass es solche Fälle tatsächlich immer wieder gibt. Aber das ist nicht die Regel. Was antworten Sie den Angehörigen und Patienten?
Prof. Citak: Das größte Problem bei der TPS-Therapie ist eigentlich die kurzfristige Erwartung der Angehörigen. Was wir auf keinen Fall versprechen können ist, dass die TPS ein universalen Jungbrunnen darstellt und dass das Gehirn wieder in einen Zustand von vor 20 bzw. 30 Jahren zurückversetzt wird. Das kriegen auch die Stoßwellen nicht hin. Die Regeneration des Gehirns nach der TPS-Behandlung dauert in der Regel mindestens drei Monate, das heißt, die Therapie triggert die Gehirnzellen sozusagen an, aber die Expansion neuer Nervenzellen, die Synapsenbildung, also die Schaffung neuer Netzwerke im Gehirn vollzieht sich oft vor allem in der Zeit nach der Initialserie von sechs Behandlungen. Wir haben einige Patienten, die erst drei Monate nach der eigentlichen Therapie eine Verbesserung angeben. Klar gibt es natürlich auch jene, die schon während der Therapie oder kurz danach deutliche Verbesserungen in verschiedensten Bereichen verspüren. Wir  dürfen nicht vergessen, dass das Ziel der Therapie in erster Linie die Stabilisierung der Erkrankung ist. Die Verbesserung der Symptome ist natürlich Ziel und Wunsch von allen, auch meiner, jedoch ist er medizinisch als sekundäres Ziel zu betrachten und sozusagen das Sahnehäubchen obendrauf. Ich habe nun Patienten gesprochen, die vor einem Jahr behandelt wurden und die rückblickend sehr froh sind, die Therapie gemacht zu haben, obwohl sie anfänglich enttäuscht waren, da es zunächst scheinbar nur zu geringfügigen Verbesserungen kam. Aber Wochen oder Monate später vollzog sich der Wandel. Im Nachhinein stellen sie jedenfalls fest, dass mindestens der damalige Ist-Zustand gehalten werden konnte, häufig sogar mehr, und ohne die TPS die Erkrankung schon viel weiter fortgeschritten wäre. All das kommunizieren wir im Vorfeld der Behandlung sehr deutlich. Hier ist auch die große Aufgabe gegeben, die Angehörigen zu motivieren, ein wenig Geduld zu haben. Wir setzen nicht auf den kurzfristigen Aha-Effekt, sondern auf die Regenerationszeit und die Zeit danach, die dem Patienten, und damit auch den Angehörigen, eine bessere Lebensqualität in vielen Bereichen ermöglichen soll und kann, wie wir ja immer wieder erleben.
AD: Wir bekommen natürlich auch immer wieder Anfragen, bei denen es um wirklich fortgeschrittene Demenz-Erkrankungen geht. Die Menschen hoffen dann darauf, dass man mit der TPS vielleicht doch noch etwas machen kann. Wie reagieren Sie auf solche Anfragen und ab wann sagen Sie, „nein, da können wir wohl leider nicht mehr helfen?“
Prof. Citak: Auch der TPS sind natürlich Grenzen gesetzt. Aber wir hatten schon Fälle, bei denen ein Patient letztlich schon über die mittelgradige Demenz hinausgeschritten war, sich also Richtung schwerer Demenz bewegte. Hier ist eine sachliche, aber vor allem auch individuelle Abwägung nötig und ein klares Gespräch mit den Angehörigen. Da die TPS-Therapie zuallererst nicht schadet, kann man auch bei jemandem, der beispielsweise schon sehr starke Orientierungs- und Wortfindungsstörungen hat, versuchen, seinen Zustand zu verbessern. Das gelingt uns auch immer wieder mit erstaunlichen Ergebnissen und wir sehen immer wieder, welche Leistungen das menschliche Gehirn vollbringen kann, wenn es die entsprechende Stimulation erhält. Es ist einfach eine Abwägung vieler Faktoren, auf die ich hier nicht allgemein eingehen kann. Die Grenzen sind fließend.
AD: Die TPS wird in Zukunft sicher noch bei anderen Indikationen eingesetzt werden, denn vielen neurologischen Erkrankungen liegen überproportionales Zellsterben oder Plaque-Bildungen zugrunde oder eben Entzündungen der Myelin-Scheiden wie etwa bei Multiple Sklerose. Ihr Kollege Dr. Henning Lohse-Busch, einer der Entwickler der TPS, sieht hier neben Parkinson, Multipler Sklerose, Zustand nach Schlaganfall auch Möglichkeiten bei der Behandlung von Polyneuropathien, unvollständigen Querschnittslähmungen, dem Tourette-Syndrom oder auch bei Wachkoma-Patienten. Wie sehen Sie das?
Prof. Citak: Ich stimme hier mit meinem Kollegen Lohse-Busch absolut überein. Wir wissen per se, dass all diese Erkrankungen mit Stoßwellen behandelt werden können. Das ergibt sich aus ihrer Funktionsweise und der Logik bzw. der wissenschaftlichen Kenntnisse entsprechend heraus. Aber wir können hier nicht einfach los therapieren! Auch wenn es bedauerlich ist, hier muss noch viel geforscht werden, noch viele Studien müssen dem vorangehen. Und es müssen Studien sein, die doppelblind, randomisiert und placebo-kontrolliert sind.  Das dauert leider Jahre, ist aber notwendig. In der Medizintechnik ist es übrigens viel schwieriger als in der Arzneimittelforschung. Bei Medikamenten kann man den Studienteilnehmern z. B. einfach Tabletten geben, die sehen alle gleich aus, egal was drin ist. Aber hier? Wir arbeiten mit Geräten, die die Stoßwellen erzeugen. Diese machen, ganz klar, es sind ja Schallwellen, Geräusche, das Gerät selbst summt, wenn es eingeschaltet ist. Hier müssen also, wenn man eine placebo-kontrollierte Studie machen will, Geräte zum Einsatz kommen, die entsprechend konditioniert sind, um einmal einen Effekt auslösen zu können und einmal nicht. Das geht, das wird auch gemacht, aber es ist sehr aufwendig, zeitintensiv und sehr, sehr teuer. Aber bzgl. der Therapie von Parkinson ist es jetzt bald so weit.
AD: Stichwort Parkinson. Die langjährigen Studien, die gerade zum Abschluss kommen, geben ja großen Anlass zur Hoffnung, auch diesen Patienten endlich helfen zu können. Sie und Ihr Team arbeiten bereits mit der TPS bei Parkinson  – als sogenannte Off-label-Therapie, was ja schon erlaubt ist. Wie sind Ihre Erfahrungswerte?
Prof. Citak: Zwischenzeitlich haben wir im Rahmen des „Off-label-Use“ und einer Beobachtungsstudie bereits 20 Patienten behandelt. Parkinson wird der nächste große Schritt der TPS-Therapie sein, keine Frage. Parkinson ist eine vielschichtige Erkrankung, die mit mehr als den bekannten körperlichen Beeinträchtigungen wie motorischen Störungen oder einem Tremor, also dem Zittern, verbunden ist. Vor allem auch die Psyche der Patienten ist extrem aus dem Gleichgewicht, weil im Gehirn nicht mehr genug Dopamin produziert werden kann. Hier haben wir schon sehr gute Erfahrungen gemacht und schon einige Patienten, die glücklich sind, dass die Ängste und das psychische Ungleichgewicht verschwinden. Das ist ein enormes Stück Lebensqualität und auch Freiheit, die die TPS hier bewirken kann. Und auch das Gehen kann wieder leichter werden, der Tremor reduziert werden. Aber wir stehen hier noch am Anfang, ich hoffe, dass ich in einem halben Jahr im Rahmen unserer eigenen Studien von mehr Patienten berichten kann.
AD: Herr Professor Citak, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns auf weitere Berichte von Ihnen.