Langzeiteffekte der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS) untersucht

Eine neu publizierte Studie der Universitätsklinik für Neurologie, MedUni Wien, berichtet erstmals über die Langzeiteffekte der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS) auf das menschliche Gehirn und dessen Reaktion. Die randomisierte, placebo-kontrollierte und doppelt verblindete Studie liefert Nachweise mit Beweiskraft.

Zunächst: Was ist eine randomisierte, placebo-kontrollierte und doppelt verblindete Studie?

In dieser Studie wurden die Patienten nach einem Zufallsprinzip (Randomisierung) in zwei Gruppen geteilt. Als erster Schritt wird die Gruppe 1 nur scheinbar (Placebo), die Gruppe 2 tatsächlich (Verum) untersucht und mit TPS behandelt. Wenn die Patienten nicht wissen, ob sie tatsächlich oder nur scheinbar behandelt werden, ist die Studie einfach verblindet. Wissen auch die Behandler nicht, ob das Therapiegerät echte oder scheinbare TPS-Impulse abgibt, ist die Studie doppelt verblindet. Das ist tatsächlich mit einigem methodischen Aufwand möglich. In einem zweiten Schritt werden die vorher nur scheinbar behandelte Patienten verum behandelt und die vorher verum behandelten scheinbar behandelt. Schließlich sind alle Patienten einmal placebo-behandelt und verum behandelt worden und selbstverständlich auch jeweils vorher und nachher untersucht worden. Sie wussten allerdings nicht, wann genau sie tatsächlich behandelt worden sind.

Hervorzuheben ist, dass diese Studie an gesunden Menschen mit ganz gesunden Gehirnen durchgeführt wurde. Warum denn das, wenn es doch um Demenz etc. geht? Es geht in der Studie um die Nachweisbarkeit des Effektes der Stoßwellen an sich. Was geschieht im Gehirn des Menschen generell, wenn es durch Stoßwellen beeinflusst wird? Am gesunden Gehirn lässt sich dieser Nachweis zunächst am besten und auch am objektivsten darstellen – denn jedes erkrankte Gehirn, auch wenn viele Menschen eine identische Diagnose haben – ist individuell erkrankt, oder, ganz vereinfacht: dasselbe ist eben nicht das gleiche! Zudem ist die nachfolgende Studie eine Grundlagenarbeit für weitere Studien, um die Evidenz-Lage, also die Beweislage, in Hinsicht auf die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) zu festigen.

Wer bis hierhin gelesen hat, kann sich nun auf die eigentliche Studienaussage freuen, die intern von manchem Fachmann bereits als – Zitat: „sensationell“ – bezeichnet wurde.

Neue Studie zeigt: Transkranielle Pulsstimulation (TPS) steigert nachweislich die Neuroplastizität.

Die Studien-Teilnehmer:innen erhielten in zwei Versuchsblöcken je drei Placebo- – und drei Verum-Sitzungen. Anders als in der Praxis-Behandlung der Patient:innen, deren gesamter Kopf behandelt wird, fokussierte man hier die Stoßwellen just auf jenen Bereich des Gehirns, der für die Bewegungen der rechten Hand zuständig ist (fachlich: die „kortikale somatosensorische Repräsentation“). Was im Gehirn der Probanden durch den Einfluss der TPS-Stoßwellen geschah, wurde dann durch umfassende strukturelle und funktionelle Untersuchungen im MRT (Magnetresonanztomographie) und durch verschiedene Verhaltenstests („taktile räumliche Wahrnehmung, sensomotorische Geschicklichkeit“) untersucht und festgehalten.

 Es konnte gezeigt werden, dass für die Bewegungen der rechten Hand auch noch eine Woche nach der letzten Verum-Behandlung wesentlich mehr Nervenzellen und Synapsen rekrutiert wurden als vorher. Die in der betroffenen Hirnregion abgespeicherten Bewegungsprogramme für die rechte Hand wurden zumindest während dieser Woche ohne Verum-Behandlung verbessert. Dadurch werden Sinneseindrücke aus der rechten Hand vermehrt aufgenommen und die daraus resultierenden feinmotorischen Bewegungsqualitäten der Muskeln verbessert. Bei jenen Personen, die nur Scheinbehandlungen erhielten, war dies nicht der Fall. Man könnte sagen, schlafende Nervenzellen wurden dauerhaft geweckt.

Diese strukturellen Effekte kommen auch durch die Stimulierung des Stoffwechsels tief liegender Axone zustande, die als Nervenfasern die Elektroleitungen des Gehirns darstellen und einen Großteil der sog. weißen Masse des Gehirns ausmachen. Sie haben dank der Stoßwellen-Impulse auch bei den gesunden Versuchspersonen weniger Leitungsverluste (Kriechströme) und transportieren die Informationen besser.

Die Stimulation durch die TPS führte mindestens über eine Woche zu einer Vergrößerung der Anzahl jener für die bewegungsspezifische Sensomotorik rekrutierten Zellen und auch deren Synapsen bei gesunden Versuchspersonen. In einer anderen Studie (3) konnte gezeigt werden, dass die Gehirnmasse der bei Alzheimerpatienten geschrumpften Hirnmasse gerade in den für die Gedächtnisleistungen zuständigen Hirnregionen über mindestens drei Monate nach der Behandlung mit TPS wieder erheblich zunimmt.

Damit zeigt sich, dass die Neuroplastizität durch die TPS gefördert wird – unter Neuroplastizität versteht man übrigens die Fähigkeit des Gehirns, zur Optimierung laufender Prozesse immer wieder neue und dauerhafte Programme zu entwickeln – ein Pianist etwa rekrutiert viel mehr Nervenzellen zur feinmotorischen Bewegung seiner Hände als ein Sänger. Diese Entwicklung mehr oder weniger dauerhafter Programme (üben, üben üben!) nennt man Neuroplastizität, die sich auch in nachweisbaren (MRT) strukturellen Veränderungen des Gehirns niederschlägt.  Siehe auch: https://www.alzheimer-deutschland.de/aktuelles/beitraege/neurogenese).

Zusammenfassung und Ausblick

Die neue Studie liefert zunächst wiederum eine Erweiterung der Evidenzlage zur TPS und ist ein akademisch fundiertes Argument für die Existenzberechtigung der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS). Darüber hinaus zeigt die Studie einmal mehr, dass zumindest die theoretische Möglichkeit besteht, auch andere chronisch neurodegenerative Erkrankungen in ihrem symptomatischen Verlauf zu bremsen.

Die Studienleitung in Wien fasst dies so zusammen: „Schlussfolgerungen: TPS erhöhte die funktionelle und strukturelle Kopplung innerhalb des stimulierten linken primären somatosensorischen Kortex und der angrenzenden sensomotorischen Areale bis zu einer Woche nach der letzten Stimulation. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass TPS neuroplastische Veränderungen hervorruft, die über die räumlichen und zeitlichen Stimulationseinstellungen hinausgehen und weitere klinische Anwendungen nahelegen.“

In der Praxis zeigen sich die Wirkungen der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS) mittlerweile seit bald zwei Jahren täglich und wir können auf eine immer besser werdende Datenlage aus der „praktischen Praxis“ zurückgreifen. Gleichwohl muss und wird die TPS noch in vielen weiteren Studien ihren Nutzen beweisen, bevor man die hier genannten möglichen Indikationen auch behandeln kann. Dazu gehören dann neben Morbus Alzheimer und anderen dementiellen Erkrankungen wie Morbus Parkinson vielleicht sogar die Multiple Sklerose und die Lähmungen nach Schlaganfall. Es könnte erfolgversprechend sein,  Sehstörungen wegen entzündlicher Netzhauterkrankungen und Durchblutungsstörungen mit TPS zu behandeln. Aber das muss noch untersucht werden. Andererseits gibt es Publikationen zur TPS-Behandlung  bei Wachkoma-Patient:innen. Die etablierte Stoßwellenbehandlung spastischer Bewegungsstörungen bei Kindern und Erwachsenen mit Hirnschäden verschiedenster Ursachen könnte durch die TPS mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend erweitert werden.

Hoffen wir im Sinne aller Betroffenen, dass es mit der Evidenzermittlung bzgl. der Transkraniellen Pulsstimulation (TPS) weiterhin mit großen Schritten vorangeht!

Quellen:
1. Matt E, Kaindl L, Tenk S, Egger A, Kolarova T, Karahasanović N, Amini A, Arslan A, Sariçiçek K, Weber A, Beisteiner R. First evidence of long-term effects of transcranial pulse stimulation (TPS) on the human brain. J Transl Med. 2022 Jan 15;20(1):26. doi: 10.1186/s12967-021-03222-5. PMID: 35033118.
2. Beisteiner R, Matt E, Fan C, Baldysiak H, Schönfeld M, Philippi Novak T, Amini A, Aslan T, Reinecke R, Lehrner J, Weber A, Reime U, Goldenstedt C, Marlinghaus E, Hallett M, Lohse-Busch H. Transcranial Pulse Stimulation with Ultrasound in Alzheimer’s Disease-A New Navigated Focal Brain Therapy. Adv Sci (Weinh). 2019 Dec 23;7(3):1902583. doi: 10.1002/advs.201902583. PMID: 32042569; PMCID: PMC7001626.
3.  Popescu T, Pernet C, Beisteiner R. Transcranial ultrasound pulse stimulation reduces cortical atrophy in Alzheimer’s patients: A follow-up study. Alzheimer’s Dement. 2021;7:e12121.  https://doi.org/10.1002/trc2.12121