Forscher sehen das Risiko an Alzheimer, Demenz und Parkinson zu erkranken als erhöht.
Zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie zeichnen sich die Langzeit-Folgen von Covid-Erkrankungen im deutlicher ab: Wie neueste Studien zeigen, leiden ca. 30% der an Corona Erkrankten auch noch ein Jahr nach der Infektion an deren Folgen. Long Covid bzw. Post Covid sind eigenständige Krankheitsbegriffe geworden. Unter Long Covid versteht man in der Medizin Beschwerden, die bis zu vier Wochen nach der Erkrankung anhalten, als Post Covid definiert man langfristige Symptome, die auch drei Monate und länger andauern. Die häufigsten Symptome können vereinfacht in zwei Gruppen unterteilt werden: Ungefähr 20 Prozent der Betroffenen erleiden nachweislich Schäden an Organen wie Herz oder Lunge. Die anderen achtzig Prozent kämpfen mit verschiedensten Beeinträchtigungen wie einer geringeren Belastbarkeit, Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit bis hin zu Fatigue (dauerhafte Müdigkeit und Erschöpfung).
Doch die Liste der Langzeitfolgen durch eine COVID-19-Infektion wird leider noch länger: Mittlerweile weisen mehrere Studien darauf hin, dass auch Demenz und Parkinson durch eine Corona-Erkrankung entstehen können.
New York University und Imperial College London befürchten Ansteigen der Fälle von Demenz.
In England zeigten die Untersuchungen, dass sich bei Überlebenden einer schweren COVID-19-Infektion Verschlechterungen der kognitiven Funktionen zeigten. In einer Studienkohorte stellte man fest, dass die Gehirnalterung im Vergleich zu gesunden Testpersonen um bis zu 10 Jahre betrug. Andere Studien zeigen ebenfalls auf, das selbst bei milden und asymptomatischen Krankheitsverläufen klinische und subklinische neurologische Veränderungen auftreten. Zudem könne, auch wenn eine COVID-19-Infektion nicht mehr nachweisbar ist, ein chronischer niedriggradiger Inflammationsprozess eintreten, der zu weiteren Entzündungen im Gehirn führen und somit zur Degeneration des Gehirns beitragen kann.
Auch Forscher:innen der New York University haben diese Folgen beobachtet. Ihre Ergebnisse weisen darauf hin, dass Patient:innen, die aufgrund von COVID-19 stationär behandelt werden mussten und während ihrer akuten Infektion neurologische Symptome aufwiesen, ein Niveau an Hirnverletzungsmarkern zeigten, die ebenso hoch oder sogar noch höher waren als bei Menschen, die an Alzheimer-Demenz erkrankt sind.
Deutliche Hinweise auf dementielle Gehirnschäden.
Für die Studie wurden 251 Patient:innen identifiziert, die im Durchschnitt 71 Jahre alt waren und bei denen zuvor – also vor ihrer COVID-19-Infektion – kein Rückgang der kognitiven Fähigkeiten festgestellt worden war, bevor sie ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Im Zuge der akuten COVID-19-Erkrankung wurden die Patient:innen dann in Gruppen mit und ohne neurologische Symptome unterteilt. Die Forschenden fanden höhere Konzentrationen sieben verschiedener Marker für Gehirnschäden bei Patient:innen mit Symptomen als bei solchen ohne. Besonders hoch waren die Konzentrationen schließlich bei jenen, die im Krankenhaus starben.
In einer weiteren Analyse konnten die Forschenden feststellen, dass ein Teil der Marker bei Personen, die mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, kurzfristig sogar signifikant höher war als bei Personen, bei denen Alzheimer „auf normalem Wege“ diagnostiziert wurde. In einem Fall lag die Konzentration sogar mehr als doppelt so hoch.
Ebenfalls im Visier der Wissenschaft: Parkinson-Erkrankungen infolge von COVID-19.
Auch ein Zusammenhang mit dem Auftreten von Parkinson-Erkrankungen nach COVID-19-Infektionen wird mittlerweile erforscht, nachdem mehrere Fälle beschrieben wurden. Es waren bisher relativ junge COVID-19-Patienten, die innerhalb weniger Wochen nach der Ansteckung mit dem Virus die Parkinson-Krankheit entwickelten. Dies veranlasst Wissenschaftler nun, der Frage nachzugehen, ob es einen Zusammenhang zwischen den beiden Erkrankungen geben könnte. Das COVID-verursachende SARS-CoV-2-Protein interagiert mit Alpha-Synuclein und beschleunigt so die Bildung von Amyloid-Plaques, wie eine neue Studie zeigt (sogenannten Amyloid-Aggregate lagern sich im Gehirn ab. Amyloid ist der Oberbegriff für Protein-Fragmente, die der Körper produziert, und die letztlich zum Untergang von Nervenzellen und somit zu Erkrankungen wie Parkinson oder Demenz führen).
Derzeit laufen zu allen oben genannten Themen weltweit zahlreiche Studien und Untersuchungen, deren Ergebnisse wir selbstverständlich aufmerksam verfolgen.
Quellen:
https://doi.org/10.1101/2020.10.20.20215863
https://alz-journals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/alz.12556
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33158605/
https://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/acschemneuro.1c00666
Update zum Thema am 21. August 2022:Mittlerweile hat sich die Studien- und Datenlage zum Ausmaß des Geschehens einer Corona-Infektion nicht nur in Bezug auf Long Covid und Post Covid-Erkrankungen generell erhöht, sondern es zeigt sich weiterhin, dass das Risiko für neurologische Erkrankungen steigt. Vor allem kognitive Störungen treten bei Erwachsenen auf, während Kinder unter Psychosen und Krampfanfällen leiden. Zu diesem Schluss kamen nun britische Forschende in einer aktuellen Publikation in „The Lancet Psychiatry“.
Ein Team der Universität Oxford wertete dazu über 90 Millionen Krankenakten meist amerikanischer Bürger:innen aus, wovon über 1,2 Millionen im Zeitraum von 2020 bis 2022 von einer Covid-19-Infektion betroffen waren. Frühere Studien hatten bereits auf eine Erhöhung des Risikos, an Demenz oder anderen neurodegenerativen Krankheiten zu erkranken, hingewiesen. Allerdings fehlten Langzeitbeobachtungen. Die neue Studie gibt nun weiteren Einblick in die Folgeerkrankungen und deren Verlauf: Neben zahlreichen anderen Long Covid und Post Covid-Syndromen wie ischämischer Schlaganfall, Depressionen, Psychosen, Parkinson, Guillain-Barré-Syndrom, Hirnblutungen, Enzephalitis, Epilepsie uvm. zeigt die Studie auf, dass das Risiko für Demenz-Erkrankungen auch mehr als zwei Jahre nach einer Corona-Infektion weiter erhöht bleibt. Gleiches gilt für den sog. Gehirn-Nebel („brain fog“), worunter man kognitive Beeinträchtigungen wie Gedächtnisstörungen oder Konzentrationsprobleme generell versteht. Diese Risiken verdoppeln sich, so die Wissenschaftler:innen, bei den über 65-jährigen nochmals.
Kritiker:innen halten diese Studie aufgrund der enormen Zahl an ausgewerteten Patient:innen-Daten und wegen des langen Beobachtungszeitraums zwar für höchst relevant, monieren jedoch, dass der Schweregrad der Atemwegserkrankungen in der Kontrollgruppe nicht berücksichtigt worden sei. Zudem sei bekannt, dass eine latente Demenz häufig durch ein schwerwiegendes Ereignis, etwa eine Covid-19-Erkrankung, manifest werde, ohne dass es einen ursächlichen Zusammenhang gäbe.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach äußerte sich heute auf Twitter dazu: „Das Gehirn ist ein faszinierendes Organ, wir verstehen es immer besser, wie es funktioniert. Es ist einfach zu schade, es durch wiederholte COVID Attacken dauerhaft zu beschädigen. Jede neue Infektion kann schaden. COVID ist keine Erkältung.“ Und wirksame Therapien sind dringend gefordert und auch vorhanden, möchte man hinzufügen – siehe hierzu: https://www.alzheimer-deutschland.de/aktuelles/beitraege/tps-therapie-long-covid
Die Studie der Oxford University ist hier zu lesen:
https://www.thelancet.com/journals/lanpsy/article/PIIS2215-0366(22)00260-7/fulltext