Britische Forscher zeigen in neuer Studie, wie ein wenig mehr Bewegung dem Gehirn hilft

Stark steigende Demenz-Zahlen, immer jünger werdende Alzheimer-Patienten, Warnungen von Wissenschaftlern, dass eine neue Demenz-Welle, ausgelöst durch Long-Covid, auf uns zurollt: Die Sorge, an Alzheimer oder einer anderen Demenzform zu erkranken, beschäftigt immer mehr Menschen. Dementsprechend groß ist das Interesse an Möglichkeiten der Vorsorge. Britische Forscher haben jetzt in einer neuen Studie nachgewiesen, was man mit ein wenig mehr Bewegung – eben schon mit nur 9 Minuten am Tag!  – Gutes für sein Gehirn tun kann.

Knapp 4.800 Probanden von klein auf beobachtet: Medical Research Council liefert Langzeitstudie

Im Rahmen der „1970 British Cohort Study“ (BCS70) hatten die Forscher für ihre prospektive Studie exakt 4.481 Probanden eingeschlossen. Alle Studien-Teilnehmer waren im Jahr 1970 in England, Schottland oder Wales geboren und während ihrer gesamten Kindheit wissenschaftlich begleitet sowie im Erwachsenenalter nachbeobachtet worden*. Im Alter von 46 Jahren hatten die teilnehmenden Probanden an dieser Studie eingewilligt, einen Beschleunigungsmesser am Oberschenkel zu tragen, um ihre körperlichen Aktivitäten, aber auch die Zeit im Sitzen und die Schlafdauer zu erfassen sowie parallele Tests zum verbalen Gedächtnis und zu exekutiven Funktionen durchführen zu lassen. Die Forscher erhoben dabei biometrische Daten sowie Informationen zu Gesundheit, zur Demografie und zum Lebensstil.

Die Teilnehmer waren überwiegend weiß, weiblich (52%), verheiratet (66%) und gut ausgebildet. Die meisten konsumierten gelegentlich Alkohol, jedoch nicht in kritischen Mengen, und die Hälfte von ihnen hatte noch nie geraucht.

Der Grund für die Untersuchung: Zwar hatten ältere Studien bereits mögliche Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und erhöhter kognitiven Kapazität sowie einen wohl späteren Beginn des kognitiven Verfalls mit zunehmendem Alter abgebildet. Um welche körperlichen Aktivitäten bei welcher Intensität und in welchem  Umfang es sich dabei handelte, war jedoch noch nicht ausreichend erforscht worden. Zudem war die Schlafdauer bisher nicht berücksichtigt worden.

Im Durchschnitt gliederte sich die Tagesaktivität der Probanden zunächst wie folgt auf: 51 Minuten verbrachten sie mit intensiver körperlicher Aktivität, 5 Stunden und 42 Minuten mit leichter körperlicher Aktivität, 9 Stunden und 16 Minuten verbrachten sie im Sitzen und 8 Stunden und 11 Minuten schliefen sie.

Studienergebnis: 9 Minuten mehr körperliche Aktivität pro Tag erhöht die Gehirnleistung nachweislich

Um festzustellen, ob eine erhöhte körperliche Aktivität zu besseren kognitiven Leistungen führen kann, wurden die Teilnehmer angehalten, die Dauer intensiver körperlicher Betätigung zu erhöhen.

Die Resultate: Die Wissenschaftler stellten eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten um 1,31% im Vergleich zum Durchschnitt fest, wenn die Probanden 9 Minuten sitzende Tätigkeit durch intensive körperliche Aktivität ersetzten (95%-Konfidenzintervall: 0,09-2,50). Eine Verbesserung von 1,27% zeigte sich, wenn 7 Minuten leichte durch intensive körperliche Aktivität ersetzt wurden und bei 1,2%, wenn 7 Minuten Schlaf für intensive körperliche Aktivität genutzt wurden. Diese Zahlen mögen zunächst klein erscheinen; sie zeigen jedoch deutlich und nachweislich auf, wie man die Gehirnleistung bereits mit nur wenigen Minuten erhöhter Aktivität verbessern kann.

Körperliche Aktivität unterstützt die Neurogenese

Gemäß der britischen Forscher wirkte sich die körperliche Aktivität auf das Arbeitsgedächtnis und auf geistige Prozesse wie Planung und Organisation aus. Seit langem ist bekannt, das körperliche Aktivitäten nicht nur den Körper, sondern auch den Geist fit halten, denn: Durch Bewegung kann die sog. Neurogenese, also die Nervenzellen-Neubildung im Hippocampus, aktiviert werden (siehe zum Thema „Neurogenese“ auch: https://www.alzheimer-deutschland.de/aktuelles/beitraege/neurogenese ).

Dies geschieht gemäß aktueller Forschung wohl dadurch, dass körperliche Aktivitäten die Konzentration von sog. Wachstumsfaktoren im Blut erhöhen. So steigt etwa der Spiegel von VEGF (vascular endothelial growth factor – eine Gruppe von Proteinen, die als Signalmoleküle/Neurotransmitter unterschiedliche Aufgaben erfüllen) nach sportlicher Betätigung an. Diese können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und im Gehirn die Neurogenese stimulieren. Wie genau es diesen Effekt erzielt, ist aber noch unbekannt.

Eine ähnliche Wirkweise wird von Wissenschaftlern übrigens bei der Transkranielle Pulsstimulation in Bezug auf die Aktivierung der Neurogenese postuliert und erforscht. Auch hier wurden vermehrte Ausschüttungen von Neurotransmittern wie dem VEGF und anderen Botenstoffen beobachtet. Auch dass die TPS die Möglichkeit bieten kann, kurzfristig die Blut-Hirn-Schranke zu öffnen, um in der Folge medikamentöse Wirkstoffe zur Behandlung der Alzheimer-Demenz oder anderer neurodegenerativer Erkrankungen in das Gehirn einzubringen, wird derzeit intensiv erforscht. Sollten diese Untersuchungen evident werden, könnte dies ein neues Kapitel in der Behandlung der Alzheimer-Demenz einläuten.

Doch zurück zu körperlicher Aktivität, Sport und Bewegung: Auch die britische Studie zeigt einmal mehr, dass Aktivitäten wie vermehrtes Spazierengehen in raschem Schritt, Fahrradfahren oder intensives Schwimmen dem Gehirn mehr zugutekommen können, also man bisher vielleicht annehmen mochte. Dies ist ein kleiner Aufwand mit große Wirkung, der von den meisten von uns leicht umgesetzt werden kann.

*Die „1970 British Cohort Study“ (BCS70) ist eine laufende, multidisziplinäre Längsschnittstudie einer Kohorte von über 17.000 Geburten in England, Schottland und Wales. Die ursprüngliche Stichprobe umfasste alle Geburten in Großbritannien in einer einzigen Woche im Jahr 1970. Weiterführende Informationen sind hier zu finden: https://cls.ucl.ac.uk/cls-studies/1970-british-cohort-study/

Quellen:
https://jech.bmj.com/content/early/2023/01/03/jech-2022-219829
https://www.medscape.com/viewarticle/987479