Demenz-Kranke sollen Teil der Gesellschaft bleiben – und von neuen Therapien profitieren

„Demenz- die Welt steht Kopf“ – dies ist das Motto des diesjährigen Welt-Alzheimer-Tages, kurz WAT. Seit 1994 wird der Welt-Alzheimertag am 21. September begangen, um die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf die Situation von Menschen mit Demenz zu lenken. In Deutschland ist es ebenfalls ein dringendes Anliegen, das Bewusstsein für die etwa 1,8 Millionen Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen zu schärfen.

Demenz-Erkrankungen, allen voran Alzheimer-Demenz, gehören längst zu den zentralen Themen in Wissenschaft und Forschung sowie in Gesellschaft und Politik, denn die Krankheitszahlen steigen weltweit stark an: Rund um den Globus leiden etwa 55 Millionen Menschen unter Demenzerkrankungen, wobei zwei Drittel dieser Fälle in Entwicklungsländern verzeichnet werden. Es wird erwartet, dass bis zum Jahr 2050 diese Zahl voraussichtlich auf 153 Millionen ansteigen und es in Deutschland dann rund 2,8 Millionen Betroffene geben wird.

Alzheimer-Demenz ist längst eine Volkskrankheit geworden. Im Jahr 2021 wurden 18.700 Patienten aufgrund einer Alzheimer-Erkrankung stationär behandelt. Dies entspricht einer Steigerung um 82 Prozent im Vergleich zu den Zahlen vor 20 Jahren, zudem verstarben mehr als 9.200 Menschen im Jahr 2021 an der heute noch unheilbaren Krankheit, was einer Steigerung im 94 Prozent entspricht, wie das Statistischen Bundesamt just am 19. September 2023 mitteilte (siehe hierzu: https://www.n-tv.de/panorama/Zahl-der-Alzheimer-Faelle-dramatisch-gestiegen-article24406266.html )

Den Betroffenen und deren Angehörigen ein Forum zu geben, gepaart mit dem Aufruf, den Erkrankten mit Empathie und Sensibilität zu begegnen und über Demenz-Erkrankungen aufzuklären, ist Ziel des Welt-Alzheimer-Tages. Aber es gilt auch, Hoffnung zu geben und den Informationsfluss zu neuen Entwicklungen aus Forschung und Wissenschaft zu stärken – denn nach Jahrzehnten des Stillstands gibt es wegweisende Forschungserfolge und Behandlungsmöglichkeiten für Alzheimer-Demenz.

Ein Schritt in die richtige Richtung – Fachleute begrüßen die neuesten Erfolge in der Pharmazie

Mit den neuen Antikörper-Medikamenten Aducanumab, Lecanemab und Donanemab, die bereits in den USA zugelassen sind, hat die Pharma-Forschung gezeigt, dass sie der Behandlung von Alzheimer einen Schritt näher gekommen ist. Zwar eignen sich die neuen Medikationen nur für einen geringen Bruchteil der Betroffenen, die als infrage kommende Patient:innen nur an leichter, beginnender Alzheimer-Demenz leiden dürfen. Hinzu kommen gefährliche Nebenwirkungen in nicht geringer Zahl und die Gabe dieser Präparate, die intravenös verabreicht werden müssen und engmaschige Kontrollen u. a. mittels MRT voraussetzen, sind mit hohem medizinischen und organisatorischen Aufwand verbunden. Schließlich sind auch die Kosten immens: Für Lecanemab etwa beziffert man in den USA jährliche Kosten von rund 26.500 US$ je Patient/Patientin und noch ist fraglich, wer diese Kosten übernimmt.

Deshalb sind europäische Wissenschaftskreise noch sehr zurückhaltend und viele der Expert:innen empfehlen die Behandlung mit den Präparaten noch nicht, auch wenn sie in der EU zugelassen werden sollten. Tatsächlich ist viel weitere Forschungsarbeit zu leisten, zumal man die Langzeitwirkungen nicht kennt. Doch für Alzheimer-Patient:innen und die Gesellschaft sind die neuesten Entwicklungen ein deutlicher Hoffnungsschimmer, denn sie zeigen, dass jahrelange Forschung zu tatsächlichen Neuerungen geführt hat, denen bald weitere folgen werden.

Zunehmend im Visier der Wissenschaft: Nicht-invasive Hirnstimulationsverfahren

Auch physikalische Therapien werden seit vielen Jahrzehnten erforscht und zunehmend in Klinik und Praxis angewandt. Was der Öffentlichkeit noch neu erscheint, ist in den letzten Jahren bereits eines der Hauptthemen auf internationalen Kongressen und in den Neurowissenschaften gewesen: Viele Wissenschaftler:innen und Institutionen sind zunehmend davon überzeugt, dass nicht-invasive Methoden der Hirnstimulation, kurz als „NIBS“ bezeichnet, die mithilfe von elektrischer, magnetischer oder anderer Formen physikalischer Energien die Gehirnaktivität modulieren, in der zukünftigen Behandlung von psychischen und neurologischen Beschwerden eine entscheidende Rolle spielen werden.

So setzen sich Wissenschaftler:innen und Expert:innen anderer Fachkreise aktuell verstärkt für technische Therapie-Lösungen zur dringend nötigen Förderung der Gesundheit der EU-Bürger:innen ein und fordern verstärkt den Einsatz nicht-invasiver Hirnstimulationsmethoden. Ein sogenanntes „Whitepaper“, das vom „Center for Responsible Research and Innovation (CeRRi)“ des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Zusammenarbeit mit der Universität Göttingen und internationalen Partnern erstellt wurde, hat erste Richtlinien zur Entwicklung und Einführung der „Non-Invasive Brain Stimulation (NIBS)“ entwickelt, die vor kurzem vorgestellt wurden. In diesem Leitfaden präsentieren sie eine gemeinsame Vision für den dringend wünschenswerten, flächendeckenden Einsatz von NIBS als Teil der Zukunftsgestaltung in der EU (Link: https://publica.fraunhofer.de/entities/publication/c305e42c-4c07-497c-8860-460ccb5e0a7c/details ).

Zu den sogenannten „NIBS“ gehören etwa die Transkranielle Magnetstimulation (TMS), ein elektromagnetisches Verfahren, und die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS), die bisher therapeutisch vor allem zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden, jedoch auch bei anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Angststörungen und Migräne eine potenziell wichtige Rolle spielen können.  Auch in Bezug auf die Therapie von Alzheimer werden diese beiden Verfahren derzeit intensiv erforscht.

Die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) wiederum, die mit niedrigenergetischen Stoßwellen arbeitet, und dank ihrer Technik zielgenau bis zu acht Zentimeter tief in die Gehirnregionen eindringen kann sowie außerdem nahezu nebenwirkungsfrei ist, hat sich dank der für die Patient:innen so einfachen Anwendung im vergangenen Jahr weiter etabliert. Allein im deutschsprachigen Raum sind es bereits über 60 Kliniken, darunter renommierte Universitätskliniken, und Praxen, die mit der TPS arbeiten und/oder an ihr forschen. So konnten mittlerweile über 5.000 Patient:innen behandelt werden, die zumeist deutlich und vor allem auch dauerhaft von dem immer besser erforschten Neurostimulations-Verfahren profitieren.

Transkranielle Pulsstimulation (TPS) wird weiter erforscht – auch andere Indikationen eine künftige Option

Die TPS wird international wissenschaftlich weiterhin untersucht. Allein im Jahr 2023 wurden bislang 13 neue Forschungs-Arbeiten vorgestellt und auf verschiedenen Fachkonferenzen im Herbst 2023 werden weitere Daten publiziert werden.

Anfänglich noch mit Skepsis betrachtet und im Jahr 2022 noch vielfach als zu wenig erforscht bezeichnet, wandelt sich das Bild zunehmend: Immer mehr renommierte Forscher:innen sprechen der TPS sehr gute Noten in Bezug auf ihre Wirksamkeit, Langzeiteffekte und vor allem auf die Sicherheit der Patient:innen aus.

Hinzu kommt, dass die Transkranielle Pulsstimulation auch im Forschungsbereich bereits zeigt, dass sie auch eine ernstzunehmende Behandlungsoption bei anderen Erkrankungen wie Parkinson, Depressionen, Autismus und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) darstellen kann. Auch Long-Covid bzw. Post-Covid und hier allem voran das damit häufig einhergehende Fatigue-Syndrom (CFS) scheint mit der TPS sehr gut behandelbar zu sein, wie Forschende attestieren.

Freilich muss die TPS weiterhin in großen Studien untersucht werden, aber der bisherige Weg des Verfahrens ist ermutigend.

Demenz – die Welt steht Kopf: Dies gilt auch für die Zukunft der Therapie

Dass Chemie (Pharmazie) und Physik (medizintechnische Therapiemethoden) Hand in Hand für ein besseres Leben für Alzheimer-Patient:innen sorgen könnten, hätte man sich bis vor wenigen Jahren nicht vorstellen können. Diese Entwicklungen stellen für viele Menschen ihr bisheriges Wissen über Alzheimer und dessen Behandlungsmöglichkeiten (noch) auf den Kopf.

Zwar ist Alzheimer immer noch nicht heilbar. Aber in Anbetracht der wissenschaftlichen Erfolge auf allen Sektoren scheint es gerechtfertigt anzunehmen, dass auch diese höchst komplexe, wohl aus vielen unterschiedlichen Faktoren heraus entstehende Erkrankung irgendwann in ihren Grundlagen verstanden und letztlich irgendwann auch heilbar sein wird.