Neue wegweisende Erkenntnisse zu Stoßwellen in Gehirn-, Herz- und Krebsbehandlung

Seit den 1980er Jahren nutzen Ärzte Stoßwellen, um Nierensteine zu zerschlagen – ein Verfahren, das vielen bekannt ist. Doch was viele nicht wissen: Die Wissenschaft hat seither nicht stillgestanden – im Gegenteil. Forscher entdecken jetzt, dass diese Technik auch in anderen medizinischen Bereichen wahre Wunder wirken kann. Von der Behandlung von Alzheimer, Demenz und Parkinson über Schlaganfälle und Herzkrankheiten bis hin zur möglichen Bekämpfung von Krebs – Stoßwellen zeigen ein beeindruckendes Potenzial, um Patienten auf neue Weisen zu helfen.

In der Dokumentation „Heilende Explosionen – Revolution in der Stoßwellentherapie“ vom 7. Februar 2024 gibt der Sender ORF III einen tiefen Einblick in diese spannende Entwicklung. Es geht nicht nur darum, wie Stoßwellen funktionieren, sondern auch darum, wie Ärzte und Physiker gemeinsam an Lösungen arbeiten, die das Leben und die Gesundheiz zahlloser Patienten verbessern können.

Stoßwellen: Der Schlüssel ihrer Wirkung liegt in der Regeneration

Das Beeindruckendste an Stoßwellen? Ihre Fähigkeit, den Körper auf natürliche Weise zu regenerieren. Ohne große Eingriffe kann diese Technologie in verschiedenen medizinischen Fachbereichen die Art und Weise der Behandlungsmöglichkeiten deutlich verändern und neue Türen für die Therapie öffnen.

In diesem Artikel rezensieren wir die 50-minütige ORF-Reportage, konzentrieren uns dabei vor allem auf die regenerativen Effekte, die Stoßwellen bewirken können, und teilen die neuesten Erkenntnisse und Erfolgsgeschichten aus der Wissenschaft.

Von der Kampftechnik zu bahnbrechenden Behandlungen: Die Reise der Stoßwellentherapie

Die Geschichte, wie Stoßwellen ihren Weg in die Medizin fanden, ist fast wie ein Abenteuerroman. Anfangs im Militär in Bezug auf ihre zerstörerischen Aspekte erforscht, haben sie eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. In den 1980er Jahren begannen Ärzte, sie für etwas völlig anderes einzusetzen: um Nierensteine aufzulösen. Diese Methode, bekannt als Lithotripsie, wurde schnell zu einer sanften Alternative zur herkömmlichen Operation, indem sie die Steine einfach fragmentiert – ganz ohne Schnitte und schmerzhafte, lange Rehabilitationszeiten. Heute ist die Lithotripsie weltweiter Standard.

Stoßwellen haben sich in der Orthopädie bereits etabliert

In der Folge hat sich in der Orthopädie die Extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) als eine der spannendsten Innovationen herausgestellt. Seit den 1990er Jahren hilft diese Form der Stoßwellen-Technik mit weitaus geringeren Energien als bei der Lithotripsie, Schmerzen zu mindern und Beschwerden an Sehnen und Muskeln in kürzester Zeit zu minimieren beziehungsweise zu heilen – und das alles ohne Operation. Ob bei Sportverletzungen wie dem Tennisarm oder bei langwierigen Problemen wie Fersensporn – die ESWT nutzt die Kraft der Stoßwellen, um den Körper zu unterstützen, sich selbst zu regenerieren. Das macht sie zu einer wichtigen Option in der modernen Orthopädie und hat sich im Bereich der Orthopädie längst als ein Mittel der Wahl durchgesetzt.

Neue spannende Forschungsfelder: Stoßwellentherapie und ihre Zukunft

Doch nicht nur in der Orthopädie schlägt die Stoßwellentherapie hohe Wellen. Forscher blicken jetzt auch auf spannende Möglichkeiten in der Herzmedizin, der Neurologie und sogar bei der Bekämpfung von Krebs. Diese neuen Anwendungsgebiete könnten zu einem Paradigmenwechsel in der Therapielandschaft führen und auch die Art und Weise, wie wir heute noch über medizinische Behandlung denken, revolutionieren.

Revolutionäre Behandlung: Stoßwellen zeigen beeindruckende Ergebnisse am Herzen

Der Wirkmechanismus, den wir im Labor entdeckt haben, gilt nicht nur fürs Herz, sondern ist in allen Geweben und allen Organen gleich,“ erklärt Priv.-Doz. Dr. Johannes Holfeld von der Medizinischen Universität Innsbruck, der über die kardiale Stoßwelle habilitiert hat, in der Dokumentation: „Am Ende einer Operation, wenn der Patient noch an der Herz-Lungen-Maschine angeschlossen ist – das ist das Sicherheitsnetz – wird der kleine Schallkopf ums Herz herum bewegt und die vorher definierten, erkrankten Areale behandelt.

Stoßwellen am offenen Herzen - Johannes Holfeld - Universität Innsbruck - Beitrag ORF3 - Alzheimer Deutschland
Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Holfeld, Medizinische Universität Innsbruck – Bildquelle: ORF.at

Ein Meilenstein in der Herzmedizin: Frühes Ende einer Studie bestätigt den Erfolg

Die Forschungsergebnisse aus Innsbruck sind tatsächlich atemberaubend. „Wir haben ein wirklich spektakuläres Ergebnis erzielt,“ sagt Johannes Holfeld. Die Effekte der Stoßwelle am Herz sind sogar so beeindruckend, dass die Studie von der Ethik-Kommission vorzeitig beendet wurde, um allen Patienten die wirksame Behandlung umgehend zukommen zu lassen. Besonders bemerkenswert ist, dass diese Patienten bereits mit allen verfügbaren Medikamente erfolglos behandelt worden waren und als austherapiert galten.

„Wir wecken den Herzmuskel regelrecht wie aus einem Winterschlaf wieder auf,“ resümiert Studienleiter Holfeld, „indem dank der Stoßwelle neue Blutgefäße einwachsen. Damit gewinnen wir tatsächlich relevante Areale des Herzmuskels zurück.“

Stoßwellen in der Medizin: Die Reise von der Steinzertrümmerung zur ganzheitlichen Regeneration

Lange dachte man, Stoßwellen würden im Körper ähnlich wie ein Mikro-Trauma wirken. Doch die Wissenschaft hat gezeigt: Die regenerativen Effekte der Stoßwellentherapie beruhen auf einem ganz anderen Prinzip. Diese Entdeckung öffnet neue Türen für die Behandlung von Herzerkrankungen und darüber hinaus.

„Die Stoßwelle war sehr lange in der Voodoo-Ecke,“ berichtet Dr. Wolfgang Schaden, eine international führende Persönlichkeit in der Stoßwellenforschung und -anwendung. Dies lag daran, dass die genauen Effekte der Stoßwellen auf den Körper lange Zeit nicht vollständig verstanden worden waren. Viele waren daher skeptisch gegenüber dieser Methode. Doch in den letzten Jahren hat sich das Blatt deutlich gewendet, wie die ORF-Dokumentation zeigt.

Die Stoßwellenbehandlung basiert tatsächlich, mittlerweile wissenschaftlich belegt, auf einem faszinierenden Prinzip: Sie verwandelt mechanische Energie in heilsame Prozesse im Körper um. Dieser Vorgang, Mechanotransduktion genannt, kann helfen, etwa die Nervenregeneration und Wundheilung erheblich zu beschleunigen. Diese Erkenntnisse eröffnen ganz neue Perspektiven für die medizinische Forschung und Behandlung (weitere Informationen zur Mechanotransduktion: Transkranielle Pulsstimulation (TPS) – Was sind Stoßwellen? ).

Stoßwellen: Ein tiefer Blick in die Welt der Zellen eröffnet neue Behandlungshorizonte

Die Wissenschaftlergruppe um Johannes Holfeld an der Universität Innsbruck hat zwischenzeitlich  bahnbrechende Entdeckungen gemacht, wie Stoßwellen auf unsere Zellen wirken. Sie fanden heraus, dass die Stoßwellen winzige Bläschen von den Zelloberflächen lösen. Das Besondere daran: Die Zellen bleiben dabei unversehrt, denn sie sind flexibel und nicht starr. Diese kleinen Bläschen spielen eine Schlüsselrolle – sie aktivieren einen wichtigen Teil unseres Immunsystems und können so den Körper dazu bringen, sich selbst zu regenerieren. Ebenso spannend ist die sich immer mehr erhärtende Vermutung, dass Stoßwellen eine Art natürliche Stammzelltherapie in Gang setzen könnten.

Effekte der Stoßwelle auf der Zellebene - Beitrag ORF3 - Alzheimer Deutschland
Stoßwelle löst Bläschen von der Zelloberfläche ab – Aktivierung des Immunsystems – Bildquelle: ORF.at

Von Gehirn bis Rückenmark: Stoßwellen als Hoffnungsträger

Doch nicht nur in der Herzmedizin, auch bei Erkrankungen des Gehirns zeigen Stoßwellen erstaunliche Effekte. Mit der Transkranielle Pulsstimulation (TPS) werden bekanntlich bereits in zahlreichen Kliniken und Praxen Patienten mit Alzheimer, Parkinson, Depressionen und anderen neurologischen Erkrankungen erfolgreich behandelt. Die Erfolge dieser Methode, die auf extrem niedrigenergetischen Stoßwellen basiert, wird durch wissenschaftliche Studien und Untersuchungen immer umfangreicher unterstützt.

Transkranielle Pulsstimulation - TPS-Therapie - Live-Behandlung - Gehirn - Beitrag ORF3 - Alzheimer Deutschland
Transkranielle Pulsstimulation (TPS) – Live-Behandlung am Kopf – Bildquelle: ORF.at

Aber die Forschung geht noch weiter: Auch das Nervengewebe im Rückenmark steht im Fokus. Die Hoffnung ist groß, dass Stoßwellen eines Tages dabei helfen könnten, die Folgen von Rückenmarksverletzungen, wie Querschnittslähmungen, zu mindern oder sogar zu verhindern.

Neue Wege in der Krebsforschung: Stoßwellentherapie rückt in den Fokus

Könnte die Stoßwellentherapie eine neue Hoffnung im Kampf gegen Krebs bieten? Diese Frage stellt die ORF-Dokumentation und blickt dabei auf vielversprechende Forschungen, unter anderem an der Charité in Berlin. Dort verfolgt man einen innovativen Ansatz: Statt Krebszellen direkt zu zerstören, könnte die Stoßwellentherapie dabei helfen, Metastasen „sichtbar“ zu machen und so das Immunsystem zu unterstützen, Krebs effektiver zu bekämpfen. Die ersten Studien dazu sind bereits angelaufen und zeigen ermutigende Ergebnisse.

Ein beeindruckendes Beispiel ist der Fall einer Patientin, die trotz Melanom-Diagnose (schwarzer Hautkrebs) und zahlreichen Behandlungsversuchen, darunter Chemo- und Strahlentherapie, nicht geheilt werden konnte. Die Wende kam mit einer Kombination aus Immuntherapie und gezielter Stoßwellentherapie an einer Hautmetastase. Nicht nur diese Metastase verschwand nach wenigen Sitzungen, sondern erstaunlicherweise lösten sich auch alle anderen Metastasen im Körper der Patientin auf. Ein bemerkenswerter, systemischer Effekt zeigte sich – eine Behandlung an einer Stelle führte zur Verbesserung im ganzen Körper.

Auf dem Weg zu einer besseren Medizin: Die vielversprechende Rolle der Stoßwellentherapie

Die Stoßwellentherapie befindet sich an einem spannenden Punkt ihrer Entwicklung. Sie wird bereits in Bereichen wie der Urologie und Orthopädie genutzt und könnte bald auch in der Neurologie, Kardiologie und sogar der Krebsbehandlung wichtige Beiträge leisten. Der große Vorteil dieser Methode? Ihre Sicherheit. Mit über sechs Millionen erfolgreichen Behandlungen allein in den USA, auch bei hohen Energiestufen, hat sich gezeigt, dass die Stoßwellentherapie keine ernsthaften Nebenwirkungen verursacht. Das macht sie zu einer hoffnungsvollen Alternative für viele Patienten, die nach schonenden Behandlungsmöglichkeiten suchen.

Die Zukunft der Stoßwellentherapie sieht also vielversprechend aus. Die Wissenschaft arbeitet weiterhin intensiv daran, ihr volles Potenzial zu erschließen und noch mehr Menschen Zugang zu diesen fortschrittlichen Behandlungsmethoden zu geben.

Die Dokumentation des ORF III wurde zwischenzeitlich auch in der deutschen ARD ausgestrahlt und kann dort in der Mediathek bis zum 01.04.2024 abgerufen werden:

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