Zulassung für Lecanemab abgelehnt: Geringer Nutzen bei hohen Risiken für Alzheimer-Patienten
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat am 26. Juli 2024 die Zulassung des Alzheimer-Medikaments Leqembi (Wirkstoff: Lecanemab) abgelehnt. Der Grund dafür ist, dass die Risiken des Medikaments für Patienten, die an früher Alzheimer-Demenz leiden, die Vorteile deutlich überwiegen.
In den Studien zu Lecanemab hatten rund 12,6 Prozent der Teilnehmer Schwellungen im Gehirn entwickelt und 17,3 Prozent erlitten Blutungen. Auch wurden mindestens drei Todesfälle direkt auf Hirnblutungen während der Studien zurückgeführt. Diese Nebenwirkungen wurden von der EMA als zu erheblich angesehen, besonders bei Patienten mit dem ApoE4-Gen, das sie anfälliger für solche Nebenwirkungen machen könnte. Das ApoE4-Gen erhöht das Risiko, an Alzheimer zu erkranken und kann die Schwere der Krankheit beeinflussen. Rund 50 Prozent der Alzheimer-Patienten tragen dieses Gen in sich.
EMA: Leqembi bringt kaum Vorteile bei erheblichen Nebenwirkungen
Zudem wurde der Nutzen des Wirkstoffs Lecanemab als zu gering bewertet. Zwar zeigte der Antikörper-Wirkstoff Lecanemab eine Verbesserung auf der Clinical Dementia Rating-Skala (CDR-SB). Aber viele Fachleute bezweifeln, ob die Patienten selbst überhaupt eine Wirkung im Alltag verspüren könnten. Darüber hinaus verzögert sich der Krankheitsverlauf durch Lecanemab in der Regel nur um wenige Monate, was bei den möglichen Risikofaktoren in keiner Relation steht.
Bei seiner Entscheidung berücksichtigte der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP), ein Gremium der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), auch die Ansichten einer wissenschaftlichen Beratungsgruppe für Neurologie, die Experten wie Neurologen und auch Betroffene mit Alzheimer-Erkrankung umfasste. Die möglichen Verbesserungen wurden als nicht ausreichend signifikant eingestuft, um die Zulassung und damit eine Marktbegehung in der EU zu rechtfertigen.
Leqembi: Möglicher neuer Ansatz im Kampf gegen Alzheimer mit hohen Anforderungen behaftet
Das Präparat Leqembi mit dem Wirkstoff Lecanemab sollte das erste Medikament in Europa sein, das direkt gegen die Alzheimer-Erkrankung selbst vorgeht und nicht nur die Symptome lindert. Es wurde entwickelt, um das Fortschreiten von Alzheimer zu verlangsamen, indem es Ablagerungen des Proteins Beta-Amyloid im Gehirn entfernt, die für die Erkrankung verantwortlich gemacht werden, wobei die sogenannte „Amyloid-Hypothese“ in Wissenschaftskreisen bis heute höchst kontrovers diskutiert wird (siehe hierzu auch: Amyloid-Hypothese ).
Allerdings wäre Lecanemab ohnehin nur für eine kleine Gruppe von Patienten einsetzbar: Das Medikament ist nur für Betroffene im sehr frühen Stadium der Alzheimer-Erkrankung gedacht, wenn sie erst leichte kognitive Beeinträchtigungen oder eine noch nicht spürbare Demenz aufweisen. Dies wären gemäß einer Berechnung der Apotheken Umschau in Deutschland aus dem Jahr 2023 nur rund 20.000 Patienten (siehe hierzu auch: Lecanemab – Hoffung oder Hype ).
USA: Praktische Anwendung von Lecanemab verläuft nur schleppend
In den USA, wo Leqembi bereits zugelassen ist, gab es ebenfalls viele Diskussionen über dessen Sicherheit und Wirksamkeit. Aufgrund von Sicherheitsbedenken wurde Leqembi dort mit einer „Black Box“-Warnung, der strengsten Warnung der FDA, versehen. Diese Warnung weist darauf hin, dass die Behandlung regelmäßige MRT-Untersuchungen erfordert, um frühzeitig Anzeichen von ARIA (amyloidbedingte Bildgebungsanomalien), wie Schwellungen und Blutungen im Gehirn, zu erkennen und darauf reagieren zu können.
Die Behandlung mit Lecanemab ist aufwendig: Sie erfordert Infusionen alle zwei Wochen und umfassende diagnostische Tests. Zudem sind die jährlichen Kosten mit rund 25.000 US-Dollar pro Patient sehr hoch. Diese Faktoren haben dazu geführt, dass die Einführung von Leqembi in den USA bisher nur langsam voranschreitet.
DGN fordert verstärkte Prävention und Verbesserung von Infrastruktur und Versorgung
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) bedauert die Entscheidung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), Lecanemab nicht zuzulassen, da dadurch keine Real-Life-Daten, also Informationen aus der tatsächlichen Anwendung von Behandlungen im Alltag, gesammelt werden können. Eine Zulassung hätte auch gesundheitspolitische Entscheidungen zur Infrastruktur der Frühdiagnostik und Versorgung vorangetrieben, die nun möglicherweise verzögert werden, so die Fachgesellschaft.
Notwendigkeit verbesserter Frühdiagnose und aktiver Präventionsmaßnahmen
Die DGN betont, dass Alzheimer-Antikörper wie Lecanemab im Frühstadium der Krankheit eingesetzt werden müssen, wenn nur milde kognitive Beeinträchtigungen oder leichte Demenz vorliegen. Viele Betroffene werden jedoch zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht diagnostiziert, daher ist eine Sensibilisierung für Frühsymptome in der Bevölkerung und bei Ärzten notwendig. Zudem ist die Amyloid-Pathologie-Diagnose per Nervenwasseranalyse oder PET-Scan derzeit nicht ausreichend finanziert und deckt nicht die Kosten neurologischer Praxen.
Die aktuellen Versorgungsstrukturen sind zudem nicht ausreichend, um alle potenziellen Patienten zu behandeln, was Investitionen in Behandlungskapazitäten erfordert. Die Gesundheitspolitik muss daher entsprechende Kapazitäten schaffen.
Die DGN mahnt außerdem, dass das Potenzial der Prävention besser ausgeschöpft werden muss. Bis zu 40 Prozent aller Demenzen könnten durch einen gesunden Lebensstil und die Korrektur von Risikofaktoren verhindert werden. Präventionsmaßnahmen könnten daher das Fortschreiten der Erkrankung in ähnlichem Maße verlangsamen wie die Antikörper-Therapie (siehe hierzu auch: Demenz erkennen und vorbeugen ).
Studienpatienten nicht von EMA-Entscheidung betroffen
Patienten in Deutschland, die derzeit an Lecanemab-Studien teilnehmen, sind von der Entscheidung der EMA, das Medikament nicht zuzulassen, übrigens nicht betroffen. Die laufenden klinischen Studien, etwa am Universitätsklinikum Bonn (siehe hierzu auch: TV-Beitrag – Studien zu Lecanemab ), werden unabhängig von der Zulassungsentscheidung der EMA fortgesetzt und bieten den Teilnehmern weiterhin Zugang zur Behandlung.
Quellen:
https://www.ema.europa.eu/en/medicines/human/EPAR/leqembi
https://nachrichten.idw-online.de/2024/07/26/dgn-bedauert-chmp-empfehlung-gegen-die-ema-zulassung-des-ersten-alzheimer-antikoerpers-in-europa