Antikörper Lecanemab und Donanemab vor EU-Zulassung im Fadenkreuz der Diskussion
Über eintausend Mal wird täglich allein in Deutschland die Diagnose Demenz gestellt, rund 440.000 Neuerkrankungen waren es im Jahr 2021. Die meisten Menschen erkranken dabei an der Form Morbus Alzheimer. Der Ruf nach wirksamen Therapien oder gar Heilung ist dementsprechend groß, ebenso der Druck auf die Forschung.
Und tatsächlich: In der Neurologie gibt es nach langen Jahren des Stillstands spannende Fortschritte. Besonders vielversprechend sollen sogenannte monoklonale Antikörper sein, die dabei helfen können, schädliche Proteinansammlungen im Gehirn zu bekämpfen. Ein Beispiel dafür ist Lecanemab, ein als intravenöse Infusion zu gebendes Medikament, das zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit, das bereits in den USA zugelassen wurde und dort unter dem Handelsnamen „Leqembi“ erhältlich ist. Eine Zulassung für die europäischen Länder durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) wird Anfang 2024 erwartet. Ein ähnliches Infusions-Medikament, Donanemab, steht ebenfalls kurz vor der Zulassung in den USA und es ist davon auszugehen, so erwarten Expert:innen, dass auch Donanemab bald in Europa angewandt werden könnte.
Neue Infusions-Medikamente können Alzheimer nicht aufhalten und sind nur im frühen Stadium einsetzbar
Doch so einfach und hoffnungsvoll, wie der Sachverhalt aktuell häufig dargestellt wird, ist es nicht. Insbesondere innerhalb der Welt der Wissenschaft werden die Antikörper höchst kontrovers diskutiert. Ein Hauptgrund für die Skepsis vieler Fachleute liegt in der Frage der Wirksamkeit und Sicherheit dieser Infusionen. Während diese Antikörper darauf abzielen, das Protein Beta-Amyloid, das sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten ansammelt, zu reduzieren, ist der tatsächliche Nutzen dieser Reduktion auf die kognitiven Funktionen der Patient:innen noch umstritten und für diese selbst vermutlich gar nicht wahrnehmbar, wie Forschende einräumen. Zudem sind Lecanemab und Donanemab ausschließlich bei Patient:innen im sehr frühen Stadium der Alzheimer-Demenz anwendbar, für Menschen in fortgeschritteneren Stadien sind sie nicht geeignet.
Nicht zu unterschätzende Nebenwirkungen: Risiko-Nutzen-Abwägung ist heikel
Ein weiterer Punkt der Debatte ist das Nebenwirkungsprofil dieser Medikamente. Die Studien zeigen, dass die Antikörper ernsthafte Nebenwirkungen haben können, wie zum Beispiel Hirnschwellungen oder Blutungen im Gehirn, mehrere Todesfälle eingeschlossen. Die Abwägung zwischen dem möglichen Nutzen und den Risiken ist daher ein zentraler Aspekt der Diskussion. Zusätzlich zu den Nebenwirkungen liegt die Herausforderung in der Logistik der Behandlung. Lecanemab erfordert alle zwei Wochen und andere Antikörper monatlich eine fachärztliche Infusion.
Regelmäßige Infusionen, Diagnostik und laufende MRT-Überwachungen: Wer soll es machen, wer übernimmt die Kosten?
Weiterhin ist ein großes Diskussions-Thema, welche Patient:innen überhaupt behandelt werden sollten und wer Behandlung, Diagnostik und Verlaufskontrollen übernimmt. Denn Lecanemab und Donanemab sind keine Tabletten, die einfach eingenommen werden können, sondern die Patient:innen müssen bei der Behandlung mit Lecanemab alle zwei Wochen, mit Donanemab alle vier Wochen, eine intravenöse Infusion erhalten, deren Verabreichung in etwa eine Stunde bzw. mehrere Stunden dauert. Diese Infusionen können nur in speziellen Arztpraxen oder in Infusionszentren erfolgen.
Auch die Diagnose von Amyloid-Ablagerungen und regelmäßige Kernspintomographie-Überwachungen, besonders im ersten Jahr, stellen eine massive Hürde dar. Ebenfalls ein Diskussionspunkt ist das Verhältnis von Kosten und Nutzen: In den USA kostet die Behandlung mit Lecanemab jährlich 26.000 Dollar. Angesichts der hohen Anzahl an Demenz-Diagnosen in Deutschland, vor allem durch Alzheimer, würden diese Therapien das Gesundheitsbudget erheblich belasten bzw. dieses könne die hohen Kosten schlicht nicht tragen, geben zahlreiche Fachleute zu bedenken. Schließlich könnten diese Therapien Alzheimer weder aufhalten noch heilen und so stelle sich die Frage, ob dies die hohen Ausgaben gesamtgesellschaftlich rechtfertige.
Andere Forschungsfelder ebenfalls erfolgreich: Neurostimulationsmethoden immer besser erforscht
Zusätzlich zu diesen beiden Antikörpern gibt es aber noch weitere Forschungen und Entwicklungen, die neue Wege der Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen. Außerhalb der Fachwelt allgemein noch wenig beachtet, werden sogenannte Neurostimulationsverfahren wie etwa die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) immer besser und umfangreicher international erforscht. Auf Fachkongressen bewertet man den Einsatz dieser Therapien als erfolgversprechend, die Zahl renommierter Befürworter:innen aus Neurologie und Psychiatrie wächst analog zum Studien- und Untersuchungsaufkommen.
Insbesondere die mittlerweile gut belegte Sicherheit der Patient:innen, die nahezu vollständige Nebenwirkungslosigkeit sowie die einfache Anwendung machen vor allem die nicht-invasiven und ambulant anwendbaren Verfahren unter den Hirnstimulationsmethoden wie die TPS zunehmend zu einer realen Option, um Alzheimer besser behandeln zu können.
Quellen:
https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2023.04.26.23289061v1