Prof. Ulrich Sprick im Interview zur Transkraniellen Pulsstimulation
Er ist hierzulande einer der führenden Forscher zur Transkraniellen Pulsstimulation (TPS): Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Ulrich Sprick, Professor an der Heinrich-Heine-Universität (HHU) und Chefarzt des zur St. Augustinus Gruppe gehörenden Alexius/Josef Krankenhauses in Neuss.
Der Experte für Hirnforschung, zu dessen wissenschaftlichen Schwerpunkten u. a. die Neuroplastizität zählt, beantwortet in einer Spezial-Beilage der FAZ vom 30. März 2023 die wichtigsten aktuellen Fragen zum Stand der Alzheimer-Forschung, seine Untersuchungen zur Transkraniellen Pulsstimulation, was die TPS von anderen Gehirnstimulationsverfahren unterscheidet und weshalb gerade diese Therapieform bald der Favorit in der Behandlung der Alzheimer-Krankheit werden könnte.
Gegen das Vergessen: Neues Verfahren zur Verbesserung der Lebensqualität bei Menschen mit Morbus Alzheimer
Gedächtnisverlust, Orientierungsschwierigkeiten, zunehmende Herausforderungen bei der eigenständigen Bewältigung alltäglicher Aufgaben – die Symptome und Folgen einer Alzheimer-Erkrankung sind vielschichtig und verursachen häufig einen hohen Leidensdruck – bei den Betroffenen selbst, aber auch bei ihren Angehörigen.
„Trotz größter wissenschaftlicher Anstrengungen ist Morbus Alzheimer bis heute nicht heilbar“
Verfügbare Medikamente können das Fortschreiten der Erkrankung lediglich verlangsamen, es gibt große Forschungslücken. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert daher Forschungsgemeinschaften und Politik auf, dem Thema Demenz viel mehr Bedeutung beizumessen. Dazu zählt beispielsweise auch, dass Therapien, wie der sogenannten Transkraniellen Pulsstimulation (TPS), mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Denn dieses neue Behandlungsverfahren könnte hier den Durchbruch bringen.
TPS wurde als erstes und bisher einziges Verfahren seiner Art für die Behandlung des Zentralnervensystems bei Patienten mit Alzheimer-Demenz zugelassen. Zwar wird das Verfahren in Fachkreisen aktuell auch kritisch diskutiert, und es braucht – wie von der WHO gefordert – zusätzliche Forschungsmaßnahmen, um die Wirksamkeit von TPS wissenschaftlich zu belegen. Doch erfahrene Forschende sind von der Wirksamkeit überzeugt. Einer der wenigen Experten im deutschsprachigen Raum, der über Erfahrung mit TPS verfügt, ist Professor Dr. Dr. Ulrich Sprick, Chefarzt des Ambulanten Zentrums und der Tageskliniken am Alexius/Josef Krankenhaus in Neuss.
Im Interview berichtet er über seine Arbeit und die damit verbundenen Erkenntnisse bei der Anwendung von TPS
Herr Professor Dr. Dr. Sprick, was ist TPS und wie funktioniert es?
„ TPS ist ein modernes Verfahren, das bei leichtgradiger und mittelschwerer Demenz angewandt wird, um vorhandene Symptome zu lindern“
Es kann den fortschreitenden Verlauf der Alzheimer-Demenz aufhalten und damit Betroffene und ihre Angehörigen entlasten. Ein kleines Gerät, das fokussierte Stoßwellen geringer Intensität erzeugt, wird an den Kopf des Patienten oder der Patientin gehalten. Die Stoßwellen gehen durch die Schädeldecke hindurch und stimulieren die durch Alzheimer-Demenz betroffenen Hirnregionen. Während der Stimulation ist in Echtzeit auf einem Monitor zu sehen, wo und wie viele Impulse gerade verabreicht werden oder bereits verabreicht worden sind. Durch TPS wird eine Verbesserung der Hirndurchblutung erreicht, und es kommt zur Bildung neuer Blutgefäße. Außerdem wird über Wachstumsfaktoren die Regeneration von Nervenzellen angeregt. Dabei werden sowohl die Neubildung als auch die Neuverschaltung der Nervenzellen im Gehirn gefördert. Dadurch, dass die sogenannte Blut-Hirn-Schranke reversibel geöffnet wird, ruft TPS auch eine stark verbesserte Wirkung verabreichter Medikamente innerhalb des Gehirns hervor.
Welche Vorteile bringt TPS?
Der entscheidende Vorteil gegenüber anderen Hirnstimulationsverfahren ist, dass eine ganz exakte Stimulation möglich ist – bis auf den Millimeter genau – und dass wir zudem deutlich tiefer in das Gehirn vordringen können, als dies bisher mit anderen bekannten Hirnstimulationsverfahren möglich war. Das Ganze ist zudem auch noch nicht-invasiv, was bedeutet, dass die Schädeldecke nicht geöffnet werden muss und das Hirngewebe nicht verletzt wird.
Welche Nebenwirkungen sind bei der Anwendung zu erwarten?
Bisher sind bei der TPS-Behandlung nur sehr wenige und geringe Nebenwirkungen, wie Kopfschmerzen, aufgetreten. Dies unterscheidet die TPS auch von derzeit angewandten Alternativen, wie beispielsweise einer Antikörpertherapie bei Morbus Alzheimer. Das Verfahren wird bei vollem Bewusstsein durchgeführt und ist schmerzfrei.
„Jede Sitzung dauert nur rund 30 Minuten und im Anschluss kann der Tagesablauf normal fortgeführt werden“
Dennoch wird die Transkranielle Pulsstimulation in Fachkreisen auch kritisch betrachtet. Woran liegt das?
Gegenwärtig fehlt noch die große Studienlage, um die Wirksamkeit des Verfahrens wissenschaftlich zu belegen. Es gibt aktuell nur kleine Studien ohne Kontrollgruppen und einige wenige Arbeitsgruppen, die sich mit dem Thema befassen – z. B. an Universitäten in Wien, Berlin, Hong Kong und Italien. Und natürlich bei uns in Neuss am Alexius/Josef Krankenhaus, wo ich gemeinsam mit meinem Team Anwendungsbeobachtungen zu dem neuen Verfahren durchführe. Inzwischen haben wir rund 80 Patientinnen und Patienten mit Morbus Alzheimer mithilfe des neuen Verfahrens in unserer Psychiatrischen Ambulanz behandelt.
Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen und wie beurteilen Sie die Wirksamkeit des Verfahrens?
„Bei fortgeschrittener oder weit fortgeschrittener Alzheimer-Demenz gibt es bislang nur wenige Daten“
In einer im letzten Monat vorgelegten Publikation konnte man nachweisen, dass selbst bei einer schweren Ausprägung der Symptome kleine Fortschritte erreicht werden konnten, allerdings bislang nur bei einer sehr kleinen Zahl an Studienteilnehmern. Bei unseren ambulanten Patienten mit leichten und mittleren Alzheimer-Symptomen haben bisherige Anwendungen von TPS bei etwa 60 Prozent zu Verbesserungen in einem oder mehreren unterschiedlichen Bereichen der Symptomatik geführt. Nicht nur die Denkfähigkeit, sondern auch die Problemlösungsfähigkeiten, die Stimmung und der Antrieb der betroffenen Personen haben sich merklich verbessert. So nahmen Betroffene, die sich zuvor stark zurückgezogen und abgesondert hatten, wieder an gemeinsamen Aktivitäten mit ihren Angehörigen teil. Aktuell prüfen wir noch weitere Effekte auf Lernen und Gedächtnis.