
Transkranielle Pulsstimulation: Neue klinische Studie zeigt Stabilisierung und Verbesserungen bei Alzheimer-Patienten über ein Jahr
Alzheimer, die häufigste Form der Demenz-Erkrankungen, gilt als eine der größten medizinischen Herausforderungen unserer Zeit. Weltweit sind derzeit über 50 Millionen Menschen betroffen und die Tendenz ist weiterhin stark steigend. Da die verfügbaren Medikamente bislang nur begrenzte Wirkung zeigen, rücken neue nicht-invasive Verfahren zunehmend in den Vordergrund aktueller Behandlungsoptionen. Eine Erweiterung in der Therapie ist die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) – ein innovatives Hirnstimulationsverfahren, das mit kurzen Stoßwellen (siehe hierzu auch: Stosswellen – Neue Perspektiven) ganz gezielt Nervenzellen aktiviert.
Bisherige Studien zur TPS hatten bisher vor allem die kurzfristigen Verbesserungen belegt. Dies ist verständlich, denn auch im Bereich der Medizintechnik benötigen wissenschaftliche Studien ihre Zeit. Nun liefert eine neue Arbeit von Prof. Dr. Lars Wojtecki und Dr. Celine Cont-Richter (Universitätsklinikum Düsseldorf / Krankenhaus zum Heiligen Geist, Kempen) dementsprechend erstmals Langzeitdaten, die eine höchst relevante Frage erstmals beantworten kann: Können die positiven Effekte von TPS auch über ein ganzes Jahr hinweg anhalten? Die Antwort lautet: Ja.
Was genau ist die Transkranielle Pulsstimulation (TPS)?
Die Transkranielle Pulsstimulation ist ein Verfahren der Neuromodulation. Über die Kopfhaut werden kurze, präzise Stoßwellen nicht-invasiv in das Gehirn geleitet. Diese erreichen auch tiefere Hirnregionen und können dort Prozesse der Neuroplastizität (siehe hierzu: Was ist Neuroplastizität?) anregen – also die Fähigkeit des Gehirns, sich neu zu vernetzen und anzupassen.
In der Studie wurden wichtige Regionen wie der Frontal- und Temporallappen, der Parietallappen sowie der Precuneus behandelt. Diese Areale sind entscheidend für Gedächtnis, Sprache und Orientierung – genau die Funktionen, die bei Alzheimer typischerweise zuerst nachlassen.
Langzeiteffekte der TPS-Therapie – Studiendesign: ein Jahr unter Beobachtung
In die Untersuchung eingeschlossen waren zehn Patientinnen und Patienten mit einer leichten bis mittelschweren Alzheimer-Demenz. Sie erhielten zu Beginn ein kompaktes Behandlungsprogramm mit sechs Sitzungen innerhalb von zwei Wochen, das den Grundstein für die weitere Therapie legte. Anschließend folgten monatliche „Booster“-Sitzungen, die jeweils rund 40 Minuten dauerten und 6.000 Pulse umfassten.
Begleitet wurde die Behandlung von einer sorgfältigen Testbatterie: Mit ADAS, MMSE und MoCA, drei international anerkannten Verfahren, wurde die kognitive Leistungsfähigkeit regelmäßig überprüft. Auf diese Weise konnten Gedächtnis, Sprache, Orientierung und weitere zentrale Fähigkeiten über den gesamten Zeitraum hinweg dokumentiert werden.
Der Beobachtungszeitraum erstreckte sich über zwölf Monate – lang genug, um die Frage zu beantworten, ob die anfangs beobachteten Verbesserungen tatsächlich Bestand haben. Damit zählt diese Arbeit zu den ersten Studien weltweit, die nicht nur kurzfristige, sondern auch Langzeiteffekte der TPS systematisch untersucht haben.
Die wichtigsten Ergebnisse der Langzeitstudie zur Transkraniellen Pulsstimulation (TPS)
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Sicherheit und Verträglichkeit
In über 180 Sitzungen traten unerwünschte Ereignisse in weniger als 1 Prozent der Fälle auf – dabei handelte es sich um leichte Kopfschmerzen, Druckgefühle oder kurzzeitiger Schwindel, die rasch von selbst vergingen. Schwerwiegende Komplikationen gab es nicht. Die TPS gilt damit als gut verträglich, auch bei längerfristiger Anwendung.
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Verbesserungen bei Gedächtnis und Sprache
Bereits nach den ersten sechs Sitzungen zeigten die Patienten signifikante Verbesserungen in Gedächtnisleistungen und Sprachfähigkeiten. Besonders bemerkenswert: Diese positiven Effekte blieben über ein Jahr stabil.
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Stabile kognitive Entwicklung
Normalerweise verschlechtern sich Alzheimer-Symptome jedes Jahr deutlich. In der Studie jedoch blieben die kognitiven Scores stabil – ein deutlicher Hinweis darauf, dass die TPS den Krankheitsverlauf tatsächlich verlangsamen kann.
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Stimmungsaufhellung
Neben den kognitiven Funktionen besserten sich auch depressive Symptome. Viele Patienten berichteten über mehr Antrieb und bessere Stimmung – ein Effekt, der die Lebensqualität zusätzlich steigern könnte.
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Domänenspezifische Wirkung
Die größten Fortschritte gab es in den Bereichen Gedächtnis und Sprache – exakt jene Funktionen, deren Hirnregionen am intensivsten stimuliert wurden. Bei Orientierung und visuell-räumlichen Aufgaben waren die Ergebnisse weniger einheitlich.
Ein neuer Ansatz der TPS-Behandlung: F-TOP²
Das Team um Wojtecki schlägt auf Basis der Ergebnisse ein erweitertes Protokoll vor: F-TOP². Dahinter verbirgt sich eine Stimulationsstrategie, die nicht nur Frontal-, Temporal-, Parietallappen und den Precuneus einbezieht, sondern zusätzlich auch die Okzipitalregionen. Ziel ist es, ein breiteres Spektrum kognitiver Defizite anzusprechen, von Gedächtnis über Sprache bis hin zu Orientierung und visuell-räumlichen Fähigkeiten. Diese Vorgehensweise könnte das Behandlungsspektrum nochmals erweitern und den Weg zu individuell zugeschnittenen TPS-Protokollen ebnen – je nachdem, welche Symptome bei einem Patienten jeweils im Vordergrund stehen.
Dank TPS ein Jahr Stabilität statt Abbau bei Alzheimner: Was diese Studie so bedeutsam macht
Die neuen Ergebnisse zur Transkraniellen Pulsstimulation sind tatsächlich ein Meilenstein für die nicht-invasive Hirnstimulation bei Alzheimer. Sie zeigen: Die TPS ist nicht nur kurzfristig wirksam – sie konnte belegen, dass sie über ein ganzes Jahr hinweg den Abwärtstrend der Alzheimer-Erkrankung aufhalten kann. Dort, wo sonst unaufhaltsamer Abbau die Regel ist, blieb Stabilität – dies ist ein Befund von besonderer Tragweite.
Dass selbst die BILD-Zeitung über die Studie berichtete, unterstreicht auch die öffentliche Relevanz, die die TPS zunehmend bildet. Doch auch Fachleute sehen darin einen entscheidenden Beitrag: Mit dieser Langzeitstudie gibt es weitere belastbare Daten, dass die TPS eine dauerhafte Zusatztherapie sein könnte.
Was diese Daten bedeuten – und wo die Forschung weitergehen muss
Natürlich bleibt zu betonen: Die Studie war mit zehn Patienten noch relativ klein, eine Kontrollgruppe fehlte. Weitere, größere Untersuchungen sind nötig, um die Ergebnisse zu bestätigen. Auch Fragen zur optimalen Frequenz der Sitzungen und zu individuellen Unterschieden im Ansprechen müssen noch beantwortet werden. Doch die Richtung ist klar: Die TPS entwickelt sich von einer vielversprechenden Entwicklung hin zu einer ernstzunehmenden therapeutischen Option
Fazit: Reale Hoffnung für Patienten und Angehörige
Die neue Studie von Wojtecki und Cont-Richter zeigt, dass die Transkranielle Pulsstimulation (TPS) in der Lage ist, den kognitiven Abbau bei Alzheimer-Patienten zu bremsen und in manchen Bereichen sogar Verbesserungen zu bewirken.
Dass eine Therapie den sonst unvermeidlichen Abbau bei Demenz nicht nur verzögern, sondern in zentralen Bereichen wie Gedächtnis, Sprache und Stimmung stabilisieren kann, markiert einen deutlichen Wendepunkt. Er eröffnet die Aussicht, dass Menschen mit Alzheimer länger Selbstständigkeit, Lebensqualität und Nähe zu ihren Angehörigen bewahren können als je zuvor.
Link zur Studie:
https://doi.org/10.3390/brainsci15080830
Link zum Bericht in der BILD:

