Lecanemab (Leqembi): Hoffnungsträger oder riskante Option für Alzheimer-Patienten?

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hat nun doch eine beschränkte Zulassung für Lecanemab, bekannt unter dem Handelsnamen Leqembi, empfohlen. Dieser monoklonale Antikörper, der Amyloid-ß-Plaques im Gehirn reduziert, soll bekanntlich den Verlauf der Alzheimer-Krankheit im Frühstadium verlangsamen. Verständlich, dass viele Betroffene und deren Angehörige nun große Hoffnungen auf dieses neue Medikament setzen – doch ganz so einfach ist es nicht. Zudem: Die endgültige Entscheidung, für die Zulassung der Infusions-Therapie mit dem Wirkstoff Lecanemab (das Präparat ist keine Pille zum Schlucken) wird voraussichtlich wohl erst im Frühjahr 2025 fallen.

Lecanemab-Infusionen werden nur äußerst eingeschränktem Patientenkreis zugänglich sein

Die jetzt mit der EMA-Empfehlung einhergehenden medialen Schlagzeilen über die Antikörpertherapie, wie „Neue Therapie bremst Alzheimer ein“ oder „Ein Schicksalstag für Demenzpatienten“, verdeutlichen darüber hinaus ein gewisses Missverständnis in der öffentlichen Wahrnehmung.

Denn Lecanemab, das unter dem Handelsnamen „Leqembi“ verfügbar sein wird, kommt nur für rund fünf bis zehn Prozent aller Alzheimer-Patienten überhaupt infrage, und zwar bei Betroffenen, die eine klinische Diagnose einer leichten kognitiven Beeinträchtigung oder einer leichten Demenz im Rahmen einer frühen Alzheimer-Erkrankung haben. Hinzu kommen weitere Ausschlusskriterien und es gibt in Fachkreisen nach wie vor massive Bedenken, insbesondere hinsichtlich der Nebenwirkungen und des hohen organisatorischen und finanziellen Aufwands der Behandlung.

Bei jährlich 250.000 neuen Alzheimer-Diagnosen in Deutschland etwa würde Lecanemab jedenfalls potenziell lediglich bei rund 12.500 bis 25.000 Patienten zum Einsatz kommen können. In den USA wurde Lecanemab im ersten Jahr nach seiner Zulassung auch nur bei rund 3.500 Patienten angewendet, was auf Deutschland übertragen etwa 800 Patienten jährlich bedeuten würde.

Darüber hinaus sind regelmäßige MRT-Scans (vor Beginn der Behandlung, dann nach fünften, siebten der 14. Infusion) erforderlich, um das Risiko von Nebenwirkungen zu reduzieren. All diese Aspekte müssen berücksichtigt werden, wenn Lecanemab in die medizinische Versorgung eingeführt wird. Und wie bei allen neuartigen Therapien, die Hoffnung wecken, bleibt die Frage der Kosten ein entscheidender Punkt.

Wirkung und erhebliche Nebenwirkungen von Lecanemab: Eine individuelle Abwägung mit Risiken

Lecanemab ermöglicht eine Verzögerung des Krankheitsverlaufs um etwa 27 Prozent, was in der Praxis einem Zeitraum von rund sechs Monaten entspricht. Dabei sind die Nebenwirkungen eben nicht zu unterschätzen: Hirnschwellungen, bekannt als Amyloid-Related Imaging Abnormalities (ARIAs), traten in den Studien bei 17 Prozent der Probanden auf. Auch wenn die meisten dieser Fälle symptomlos verliefen, traten in der Zulassungsphase zwei Todesfälle auf, die im Zusammenhang mit der Behandlung standen. Solche Risiken werfen nach wie vor die Frage auf, ob der moderate Nutzen diese potenziell lebensgefährlichen Nebenwirkungen rechtfertigt (siehe hierzu auch: Lecanemab – Hoffnung oder Hype )

Hoher Überwachungsaufwand sowie Belastungen für Patienten und deren Angehörige

Die Behandlung mit Lecanemab erfordert zudem eine intensive Überwachung, darunter die zuvor genannten regelmäßigen MRT-Untersuchungen, um mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Dieser hohe Aufwand bedeutet auch für viele Betroffene und ihre Angehörigen eine erhebliche Belastung – nicht nur in Bezug auf die Zeit, sondern auch emotional und finanziell. Denn selbst wenn die Kosten für die Therapie von den Krankenkassen übernommen würden – was noch nicht klar ist – , können zusätzliche finanzielle Belastungen entstehen, beispielsweise durch vielfache Reisekosten zu spezialisierten Behandlungszentren.

Die Rolle der Geschlechterunterschiede: Ein ungleicher Nutzen von Leqembi bei Männern und Frauen

Nicht zu unterschätzen ist auch, dass Männer und Frauen höchst unterschiedlich auf die Lecanemab-Infusionen ansprechen: Eine Analyse der Studiendaten zeigte, dass Männer mit 43 Prozent deutlich besser auf die Behandlung ansprachen als Frauen, bei denen die Effektivität nur 12 Prozent betrug. Angesichts der Tatsache, dass Frauen 60 Prozent der Alzheimer-Betroffenen ausmachen, ist dies eine beunruhigende Erkenntnis. Der Grund für diese Unterschiede ist noch ungeklärt, und weitere Forschung ist erforderlich, um diese Diskrepanz besser zu verstehen.

Lecanemab ist nicht für jeden geeignet – für viele Patienten auch nicht im sehr frühen Stadium der Alzheimer-Demenz

Die Einschränkungen der möglichen Behandlung mit Lecanemab beziehen sich zudem nicht nur darauf, dass ein Alzheimer-Patient nur in einem sehr frühen Stadium erkrankt sein darf, um mit dem Medikament Leqembi behandelt werden zu können. Weitere Faktoren kommen als Ausschlußkriterien hinzu: Behandelt werden dürfen ausschließlich Patienten, die keine Träger des Apolipoprotein E ε4 (ApoE ε4) sind.

Das Apolipoprotein E ε4 (ApoE ε4) ist eine genetische Variante, die mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Alzheimer verbunden ist. Menschen, die diese Variante geerbt haben, sind sogenannte „Träger“ und haben ein höheres Risiko, die Krankheit zu entwickeln.

Auch bei sogenannter „Heterozygotie“ gibt es Einschränkungen: Darunter versteht man Personen, die nur eine Kopie der ApoE ε4-Variante von einem Elternteil haben. Bei ihnen ist eine individuelle, besonders sorgfältige Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses im Einzelfall notwendig, da sie ein höheres Risiko für die genannten Nebenwirkungen haben könnten. Schließlich dürfen auch Patienten mit anderen Vorerkrankungen, darunter Hirngefäßschäden oder schlecht eingestellter Bluthochdruck, nicht mit Lecanemab behandelt werden.

Hohe Kosten und die Unsicherheit bei der Finanzierung – viele Fragen sind noch offen

Der hohe Preis von Leqembi ist eine weitere große Hürde: In den USA belaufen sich die jährlichen Kosten auf etwa 26.000 Dollar, zusätzlich zu den erheblichen Kosten für die Verabreichung und Überwachung. Wie viel Lecanemab in Europa kosten wird und ob die Kosten von den Kassen übernommen werden, ist noch völlig unklar.

In Deutschland muss, die Zulassung vorausgesetzt, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entscheiden, ob Leqembi wirklich einen konkreten Nutzen für die Patienten hat. Nur dann würden die Kosten für Diagnostik, Infusions-Therapie und Überwachung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. In Zeiten, da die finanzielle Lage der Kassen zumindest äußerst angespannt ist, dürfte dies eine schwierige Entscheidung werden, auch politisch betrachtet.

Mehr Forschung dringend notwendig und auch andere Therapie-Optionen sollten beachtet werden

Trotz der bevorstehenden Zulassung betonen Fachleute auch die Dringlichkeit weiterer Langzeitstudien zu Lecanemab. Diese sollen die Wirkung und vor allem auch die Sicherheit der Behandlung über den bisherigen Studienzeitraum von 18 Monaten hinaus prüfen. Sollte sich dabei kein zusätzlicher Nutzen zeigen, müsst eine etwaige erteilte Zulassung abermals überprüft werden. Parallel dazu gewinnt die Erforschung alternativer Therapien an Bedeutung, da die ausschließliche Fokussierung auf Amyloid-ß nicht alle Fragen zur Entstehung von Alzheimer beantwortet.

Die Diskussion um Lecanemab zeigt, dass die Alzheimer-Forschung an einem kritischen Punkt steht. Während das Medikament für eine kleine Gruppe von Patienten Hoffnung bedeuten kann, bleiben die drastischen Nebenwirkungen und der hohe Aufwand der Behandlung ein erhebliches Hindernis.

Für Betroffene und ihre Angehörigen bleibt es daher entscheidend, alle Informationen sorgfältig abzuwägen und sich umfassend ärztlich beraten zu lassen. Denn auch wenn die Forschung mit Lecanemab einen Schritt vorangekommen ist, zeigt sich, dass die Suche nach sicheren, effektiven und breit zugänglichen Therapien weitergeht – und dass es auch längst andere Therapieoptionen gibt, die in der Wissenschaft zunehmend als wirksam und sicher erachtet werden, zumal ohne klinisch relevante Nebenwirkungen.