Forschende aus England und USA zeigen, wie Neuronen im Gehirn verdrahtet sind.
Wissenschaftler:innen des englischen Medical Research Council Laboratory of Molecular Biology und der University of Cambridge sowie Kolleg:innen aus Großbritannien und den USA ist es erstmals gelungen, die größte vollständige Gehirnkarte eines Lebewesens zu erstellen.
Sie kartografierten das Gehirn einer Fruchtfliegenlarve und zeigen dabei nicht nur die 3016 Neuronen, sondern zudem auch unglaubliche 548.000 Synapsen. Ihre Studienergebnisse wurden am 10. März 2023 im renommierten Fachblatt „Science“ publiziert.
Grundprinzipien verstehen, wie Signale auf neuronaler Ebene durch das Gehirn wandern.
Ziel der Arbeit unter der Leitung der Neurobiologin Prof. Marta Zlatic und des Neurowissenschaftlers Prof. Albert Cardona war es, die Grundprinzipien zu verstehen, nach denen Signale auf neuronaler Ebene durch das Gehirn wandern und zu Verhalten und Lernen führen.
Die Karte der 3016 Neuronen, aus denen das Gehirn der Larve besteht und die darin enthaltenen detaillierten Schaltkreise der Nervenbahnen werden als „Konnektome“ bezeichnet. Konnektome stellen die Gesamtheit der Verbindungen im Nervensystem eines Lebewesens dar.
Das Nervensystem jedes Organismus, einschließlich des Gehirns, besteht aus Neuronen, die über Synapsen miteinander verbunden sind. Über diese Kontaktstellen werden Informationen auf elektrischem Wege in Form von Chemikalien von einem Neuron zum anderen weitergegeben.
Großer Fortschritt: Wie funktioniert ein Gehirn tatsächlich?
Prof. Zlatic erklärt dazu: „Die Art und Weise, wie der Schaltkreis des Gehirns strukturiert ist, beeinflusst die Berechnungen, die das Gehirn durchführen kann. Aber bis zum heutigen Zeitpunkt hatten wir noch keine Struktur von einem Gehirn sehen können, außer dem Spulwurm C. elegans, der Kaulquappe einer niedrigen Chordate und der Larve eines marinen Ringelwurms, die alle lediglich mehrere hundert Neuronen haben. Das bedeutet, dass die Neurowissenschaften bisher meist ohne Schaltungskarten arbeiten mussten. Ohne die Struktur eines Gehirns zu kennen, konnten wir nur raten, wie Berechnungen implementiert werden. Aber jetzt können wir anfangen, ein mechanistisches Verständnis davon zu gewinnen, wie das Gehirn tatsächlich funktioniert.“
Warten auf die Technik: Konnektom höherer Organismen kann noch nicht dargestellt werden.
Die Neurobiologin bedauert, dass die aktuelle Technologie noch nicht weit genug fortgeschritten sei, um das Konnektom für höhere Tiere wie große Säugetiere zu kartieren, aber immerhin: „Alle Gehirne sind ähnlich – sie sind alle Netzwerke miteinander verbundener Neuronen – und alle Gehirne aller Arten müssen viele komplexe Verhaltensweisen ausführen: Sie alle müssen sensorische Informationen verarbeiten, lernen, Aktionen auswählen, in ihrer Umgebung navigieren, Nahrung auswählen, ihre Artgenossen erkennen usw. So wie Gene im gesamten Tierreich festgelegt sind, denke ich, dass auch die grundlegenden Schaltkreisläufe, die diese grundlegenden Verhaltensweisen implementieren, ebenfalls festgelegt sind.“
Um ein Bild des Konnektoms der Fruchtfliegenlarve zu erstellen, scannten Zlatic, Cardona und Kolleg:innen Tausende von Schnitten des Gehirns der Larve mit einem hochauflösenden Elektronenmikroskop. Sie rekonstruierten die resultierenden Bilder zu einer Karte des Fliegengehirns und dokumentierten die Verbindungen zwischen Neuronen. Dabei kartierten sie nicht nur die 3016 Neuronen, sondern auch unglaubliche 548.000 Synapsen!
Die Forscher entwickelten darüber hinaus spezielle Computerwerkzeuge, um wahrscheinliche Pfade des Informationsflusses und verschiedene Arten von Schaltungsmotiven im Gehirn des Insekts zu identifizieren. Sie fanden dabei heraus, dass einige der strukturellen Merkmale genau der hochmodernen Deep-Learning-Architektur entsprechen.
„Dies ist ein großer Schritt vorwärts bei der Beantwortung wichtiger Fragen zur Funktionsweise des Gehirns, insbesondere dazu, wie sich Signale durch die Neuronen und Synapsen bewegen, die zum Verhalten führen, und dieses detaillierte Verständnis kann in Zukunft zu therapeutischen Interventionen führen“, so die Forschenden.
Der nächste Schritt wird darin bestehen, noch tiefer in das Gehirn einzutauchen, um beispielsweise die Architektur zu verstehen, die für bestimmte Verhaltensfunktionen wie Lernen und Entscheidungsfindung erforderlich ist, und die Aktivität im gesamten Konnektom zu betrachten, während das Insekt aktiv ist.
Quelle: UK Research and Innovation
https://www.ukri.org/news/first-wiring-map-of-neurons-in-insect-brain-complete/
https://www.nature.com/articles/d41586-023-00709-7