Warum einfache Maßnahmen wie kognitives Training und soziale Teilhabe einen Unterschied für Demenz-Patienten machen können

Für die meisten an Alzheimer oder an anderen Formen der Demenz erkrankte Menschen bedeutet die lebensverändernde Diagnose auch heute noch, passiv auf wirksame Medikamente oder andere innovative Therapieansätze warten zu müssen und sich der Krankheit als vermeintlich unabänderlichem Schicksal zu ergeben.

Leitliniengerecht werden bei Demenz sogenannte Acetylcholinesteraseinhibitoren wie Donepezil  oder Rivastigmin eingesetzt (das sind Medikamente, die den Abbau des Neurotransmitters Acetylcholin im Gehirn verhindern, um die Kommunikation zwischen Nervenzellen zu verbessern), die neben der Abmilderung des Krankheitsverlaufs auch gezeigt haben, dass sie das Sterberisiko reduzieren.

Doch verschrieben werden oftmals auch Antipsychotika und Benzodiazepine, um die Patienten ruhigzustellen. Rund ein Drittel der Betroffenen erhalten solche eigentlich zur Behandlung von Psychosen entwickelten Präparate wie etwa Risperidon oder Haloperidol, um Aggressivität, Unruhe und Schlafstörungen entgegenzuwirken (siehe hierzu auch: Nutzen und Nebenwirkungen von Medikamenten ) und werden ansonsten mit der Krankheit allein gelassen.  

Viel zu viele Medikamente, befand etwa der „Demenz-Report 2020“, der die weit verbreitete Verordnung dieser Mittel bei dementen Menschen langfristig als keine akzeptable singuläre Strategie ansieht. Andere Lösungen sind also gefragt – und auch vorhanden. Sie werden nur viel zu wenig genutzt. Die Rede ist von kognitivem Training und die Miteinbeziehung von Demenz-Patienten in ein aktives soziales Leben.

Kognitives Training und soziale Teilhabe: „Natürliche“ Maßnahmen, die allen Beteiligten helfen

Längst weiß man, dass Menschen, die geistig aktiv sind, die Leistungsfähigkeit ihres Gehirns verbessern können – und zwar auch dann, wenn bereits eine neurodegenerative Erkrankung aufgetreten ist, denn: Die Plastizität des Gehirns, also die Fähigkeit dieses komplexen Organs, sich anzupassen und zu verändern, indem es neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen aufbaut bzw. bestehende Verbindungen verändert oder stärkt, ist auch bei Demenz-Patienten noch vorhanden! Gezielte kognitive Stimulation und entsprechende Therapien können diese Plastizität fördern und helfen, den Verlauf der Erkrankung zu verlangsamen und die Symptome zu lindern.

Unterschätzt wurde auch lange, wie wichtig die sogenannte soziale Teilhabe ist. Der Mensch ist, fast immer jedenfalls, ein höchst soziales Wesen, das, zu lange einsam und allein, regelrecht verkümmert wie eine Pflanze ohne Licht und Wasser. Einsamkeit beeinträchtigt die Gehirnfunktionen wesentlich, und führt zudem oft zu Depressionen und Ängsten.

Soziale Teilhabe bedeutet, dass Menschen die Möglichkeit haben, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und sich in Gemeinschaften einzubringen. Dazu gehört, soziale Kontakte zu pflegen, an gemeinsamen Aktivitäten teilzunehmen und Zugang zu Kultur und Freizeitangeboten zu haben. Soziale Teilhabe fördert das Gefühl der Zugehörigkeit und Wertschätzung und ist wichtig für das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit. Dies gilt ganz besonders bei älteren Menschen oder Menschen mit Demenz-Erkrankungen.

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen: Kognitive Stimulation wirkt

Eine aktuelle Metastudie aus Italien unterstreicht jetzt eindrucksvoll, welche Möglichkeiten diese letztlich einfachen Maßnahmen den Patienten und damit auch deren Angehörigen bieten – und dies ganz ohne Nebenwirkungen.

Ein Forscherteam des „Italian National Institute of Health“ hat jetzt in einer umfassenden Metaanalyse die Wirksamkeit von kognitionsorientierten Behandlungen untersucht.

Zur Erklärung: Eine Meta-Studie ist eine wissenschaftliche Arbeit, die die Ergebnisse mehrerer bereits durchgeführter Studien zu einem bestimmten Thema zusammenfasst und analysiert. Das Ziel einer Meta-Studie ist es, aus den gesammelten Daten eine umfassendere und zuverlässigere Aussage zu gewinnen, als es eine einzelne Studie könnte. Indem sie Daten aus vielen Quellen kombiniert, ermöglicht eine Meta-Studie, Muster und Zusammenhänge zu erkennen und die Gesamtwirkung einer bestimmten Behandlung oder eines Phänomens besser zu verstehen. Meta-Studien sind besonders wertvoll, weil sie einen breiten Überblick über den aktuellen Stand der Forschung geben und oft fundiertere Schlussfolgerungen erlauben.

Und die Ergebnisse dieser großen Meta-Analyse aus Italien zeigen klar, dass kognitive Stimulation und Training die geistigen Funktionen von Demenz-Patienten deutlich verbessern können. Diese sogenannten nicht-pharmakologischen Interventionen zielen darauf ab, vorhandene kognitive Ressourcen zu aktivieren und zu nutzen, um den Verlust an Fähigkeiten zu verlangsamen und das Wohlbefinden zu fördern.

Was sind kognitive Stimulation und kognitives Training?

Kognitive Stimulation umfasst verschiedene Aktivitäten, die darauf abzielen, die Gehirnfunktion zu unterstützen. Dazu gehören Gruppenaktivitäten wie Gedächtnisübungen, Sprachspiele oder Problemlösungsaufgaben. Die soziale Interaktion innerhalb der Gruppen ist dabei ein wesentlicher Bestandteil, da sie das Gehirn auf natürliche Weise stimuliert und gleichzeitig das Gefühl der Verbundenheit stärkt.

Kognitives Training ist spezifischer ausgerichtet und beinhaltet gezielte Übungen, die bestimmte kognitive Fähigkeiten wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit oder Exekutivfunktionen der Patienten fördern. Diese Maßnahmen helfen dabei, neuronale Verbindungen zu stärken und die Plastizität des Gehirns zu nutzen, um kognitive Funktionen möglichst lange zu erhalten. Das kognitive Training wird häufig in Einzeltrainings durchgeführt, denn dies bietet den Vorteil, dass das Training speziell auf die Fähigkeiten und Herausforderungen des einzelnen Patienten zugeschnitten werden können. Dies ermöglicht eine sehr gezielte Förderung und Anpassung der Übungen.

Soziale Teilhabe als Schlüssel zu mehr Freude und Lebensqualität

Die Bedeutung sozialer Teilhabe darf, wie bereits erwähnt, nicht unterschätzt werden. Soziale Kontakte und regelmäßige Interaktionen mit anderen Menschen fördern nicht nur die geistige Gesundheit, sondern auch die emotionale Stabilität und die Freude am Leben, auch mit einer Demenz-Krankheit. Zahlreihe Studien zeigen, dass Einsamkeit und Isolation das Fortschreiten kognitiver Einschränkungen maßgeblich beschleunigen können. Im Gegensatz dazu trägt soziale Teilhabe dazu bei, die Lebensqualität zu verbessern und den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.

Auch die italienische Meta-Studie hebt hervor, dass kognitive Stimulation und soziale Teilhabe Hand in Hand gehen sollten. Beide Faktoren unterstützen die Plastizität des Gehirns und tragen dazu bei, die kognitive Reserve – die Fähigkeit des Gehirns, Schädigungen zu kompensieren – zu erhalten. Regelmäßige soziale Interaktionen wirken wie ein natürliches „Training“ für das Gehirn und können dem Fortschreiten der Demenz entgegenwirken.

Die Rolle der Hausärzte: Erste Wegweiser für Patienten und Angehörige

Erste Anlaufstelle für Menschen mit Demenz ist zumeist der Hausarzt. Dass daher auch die Hausärzte neben den Fachärzten aus Neurologie und/oder Psychiatrie auf die Möglichkeiten begleitenden kognitiven Trainings und sozialer Aktivitäten hinweisen und auch an entsprechende Stellen überweisen, sollte idealerweise eine der ersten und selbstverständlichen Maßnahmen sein.

Dr. Arnim Quante, Psychiater und Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Friedrich von Bodelschwingh-Klinik und Leiter der Gedächtnisambulanz sowie der gerontopsychiatrischen Institutsambulanz in Berlin, betont, wie wichtig es ist, dass Hausärzte kognitive Stimulation und soziale Teilhabe in ihre Empfehlungen einbinden. „In meiner täglichen Arbeit in der Gedächtnisambulanz werde ich oft gefragt, was Patienten tun können, um den Verlauf der Krankheit zu beeinflussen. Neben Basismaßnahmen wie Bewegung und gesunder Ernährung ist kognitive Stimulation ein essenzieller Bestandteil“, so Dr. Quante.

Der Psychiater hebt hervor, dass viele Patienten und ihre Angehörigen schlicht nicht wissen, wo sie diese Art von Unterstützung finden können. „Die praktische Umsetzung ist leider nicht immer einfach. Ich rate oft zu Ergotherapie und ermutige die Patienten und deren Angehörige, selbst mit den Therapeuten zu sprechen, ob diese auch kognitive Stimulation anbieten“, erklärt Dr. Quante. Er empfiehlt zudem einfache, zuhause umsetzbare Maßnahmen: „Lesen, Rätsel lösen oder ein Instrument spielen sind Aktivitäten, die jeder in seinen Alltag integrieren kann. Sie fördern nicht nur die geistige Aktivität, sondern bringen auch Freude.“

Gehirnplastizität und Lebensfreude fördern: Praktische Tipps für den Alltag

Es sind nicht immer die großen, professionell geleiteten Maßnahmen, die zählen. Oft können einfache Aktivitäten, die Betroffene selbst durchführen oder die von Angehörigen unterstützt werden, bereits viel bewirken. Hier sind einige Anregungen:

  • Gemeinsames Spielen von Gesellschaftsspielen oder Kartenspielen.
  • Vorlesen oder das Hören von Hörbüchern.
  • Gemeinsames Musizieren oder Singen.
  • Spaziergänge und Gespräche in der Natur, die Bewegung und soziale Interaktion verbinden.

Die Liste ist lang, und vieles, was den Betroffenen vor ihrer Erkrankung Freude bereitet hat, kann auch weiterhin helfen, Lebensfreude zu empfinden und das Gehirn zu stimulieren.

Ein Aufruf zu mehr Aufmerksamkeit für bewährte Maßnahmen

Die Ergebnisse der italienischen Metastudie machen deutlich: Kognitive Stimulation, Training und soziale Teilhabe bieten reale Vorteile für Demenzpatienten und ihre Angehörigen. Diese Erkenntnisse sollten die Aufmerksamkeit von Ärzten und Gesundheitseinrichtungen wecken, um die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und pflegende Angehörige zu entlasten.

Hausärzte, die oft die ersten Ansprechpartner sind, spielen dabei eine Schlüsselrolle. Indem sie Patienten und Familien auf die Möglichkeiten dieser nicht-medikamentösen Maßnahmen hinweisen, können sie dazu beitragen, dass diese wertvollen Ansätze mehr genutzt werden.

Der italienischen Studie zufolge bleibt es wichtig, weiter zu forschen, um die besten Bedingungen und Protokolle für diese Interventionen zu ermitteln. Doch schon jetzt steht fest: Die Förderung von kognitiver Stimulation und sozialer Teilhabe ist ein entscheidender Schritt, um Menschen mit Demenz Hoffnung und Lebensqualität zu schenken – und den Krankheitsverlauf auf natürliche Weise zu verlangsamen.

Eigeninitiative ist notwendig: So können Sie und Ihre Angehörigen aktiv werden

Das Fazit lautet: Werden Sie selbst aktiv! Sprechen Sie als Patient oder Angehöriger ihre behandelnden Ärzte in der Praxis oder in den Gedächtnisambulanzen gezielt und aktiv an! Auch im Internet finden Sie unter dem Suchbegriff „kognitives Training“ zahlreiche Informationen, Anregungen und Tipps. Zur Unterstützung der „sozialen Teilhabe“ findet man unter dem Suchbegriff „Leistungen zur sozialen Teilhabe“ ebenfalls weiterführende Informationen und Hilfe. Nutzen Sie diese Möglichkeiten!

Quellen:

Demenz-Report 2020: „Einsatz von Psychopharmaka hochbedenklich“:

https://www.hkk.de/presse/pressemitteilungen/2020-11-19-demenzreport

Die Meta-Studie „Die Wirksamkeit von kognitiver Stimulation, kognitivem Training und kognitiver Rehabilitation für Menschen mit Demenz: eine systematische Übersicht und Meta-Analyse.“ wurde am 01. November 2024 in GeroScience veröffentlicht:

https://link.springer.com/article/10.1007/s11357-024-01400-z